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Die vierte Hand

Die vierte Hand

Titel: Die vierte Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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- der Schilderung, wie der titelgebende englische Patient zwischen Bewußtsein und Bewußtlosigkeit hin- und herdriftet, während die Schwester ihm vorliest. Und so hatten die Bücher für den Engländer, ob er nun aufmerksam zuhörte oder nicht, Lücken in der Handlung, wie Abschnitte einer Straße, die vom Unwetter ausgewaschen sind, fehlende Ereignisse, als hätten Heuschrecken Teile eines Gobelins aufgefressen, als wäre Gips, bröcklig vom Bombardement, nachts von einem Wandgemälde abgefallen. Das war nicht nur eine Passage zum Wiederlesen und Bewundern; sie warf auch ein günstiges Licht auf den Leser, der sie sich angestrichen hatte. Wallingford klappte das Buch zu und legte es behutsam auf den Boden. Dann schloß er die Augen und konzentrierte sich auf die beruhigende Bewegung des Schaukelstuhls. Wenn er den Atem anhielt, konnte er seinen Sohn atmen hören - für viele Eltern ein heiliger Moment. Und beim Hinundherschaukeln nahm sich Patrick etwas vor. Er würde nach New York zurückkehren und den Englischen Patienten lesen. Er würde seine Lieblingsstellen anstreichen; er und Mrs. Clausen konnten vergleichen, wofür sie sich entschieden hatten, und darüber reden. Vielleicht würde er sie sogar überreden können, ein Video von dem Film auszuleihen, das sie sich dann zusammen anschauen konnten. Na, dachte Wallingford, während er, seinen schlafenden Sohn im Arm, im Schaukelstuhl einschlief... wäre das kein verheißungsvolleres Thema für sie beide als die Reisen einer Maus oder der phantasievolle Überschwang einer dem Tode geweihten Spinne?
    Mrs. Clausen fand die beiden schlafend im Schaukelstuhl. Als gute Mutter untersuchte sie gewissenhaft alles, was Rückschlüsse auf Ottos Frühstück zuließ - darunter den im Fläschchen verbliebenen Rest, das kräftig bekleckerte Hemd ihres Sohnes, sein pfirsichbeschmiertes Haar, seine bananenfleckigen Socken und Schuhe und die nicht zu verkennenden Anzeichen dafür, daß er auf Patricks Boxershorts gespuckt hatte. Offenbar sagte ihr alles zu, besonders der Anblick der beiden im Schaukelstuhl Schlafenden, denn sie machte mit ihrer Kamera zwei Bilder von ihnen.
    Wallingford wachte erst auf, als Doris schon Kaffee gemacht hatte und gerade Speck briet. (Ihm fiel ein, daß er ihr gesagt hatte, daß er Speck mochte.) Sie hatte ihren lila Badeanzug an. Voller Selbstmitleid stellte sich Patrick seine Badehose ganz allein an der Wäscheleine vor, ein Symbol für Mrs. Clausens wahrscheinliche Ablehnung seines Antrags. Sie verbrachten einen trägen, wenn auch nicht völlig entspannten Tag miteinander. Die unterschwellige Spannung zwischen ihnen rührte daher, daß Doris seinen Antrag mit keinem Wort erwähnte. Sie wechselten sich damit ab, vom Steg aus zu schwimmen und auf Otto aufzupassen. Erneut watete Wallingford mit dem Baby im flachen Wasser an dem Sandstrand. Sie machten zusammen eine Bootsfahrt. Den kleinen Otto auf dem Schoß, saß Patrick im Bug, während Mrs. Clausen das Boot steuerte - den Außenborder, weil sie damit besser umgehen konnte. Der Außenborder war nicht so schnell wie das Motorboot, aber es würde den Clausens nicht soviel ausmachen, wenn er einen Kratzer oder eine Delle abbekäme.
    Sie beförderten ihren Müll zu einem Container auf einem Steg am anderen Ende des Sees. Was sie an Müll nicht zu diesem Container schafften - ob Flaschen, Dosen, Papier, Essensreste, Ottos schmutzige Windeln -, würden sie im Wasserflugzeug mit zurücknehmen müssen. Im Außenborder konnten sie einander bei laufendem Motor nicht reden hören, doch Wallingford sah Mrs. Clausen an und formte ganz sorgfältig mit den Lippen die Worte: »Ich liebe dich.« Er wußte, sie hatte sie ihm von den Lippen abgelesen und verstanden, doch was sie erwiderte, blieb ihm unverständlich. Es war ein längerer Satz als »Ich liebe dich«; er spürte, daß es ernst gemeint war.
    Auf dem Rückweg von der Müllbeseitigungsfahrt schlief Otto junior ein. Wallingford trug den schlafenden Jungen die Treppe hinauf zu seinem Bettchen. Doris sagte, Otto schlafe normalerweise zweimal am Tag; die Bewegung des Bootes habe das Kind eingeschläfert. Mrs. Clausen überlegte, daß sie ihn zum Füttern aufwecken mußte. Es war nicht mehr Spätnachmittag, sondern schon früher Abend; die Sonne ging bereits unter. Wallingford sagte: »Laß den kleinen Otto noch schlafen. Komm bitte mit mir zum Landesteg.« Sie hatten beide ihre Badesachen an, und Patrick sorgte dafür, daß sie zwei Handtücher

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