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Die vierte Hand

Die vierte Hand

Titel: Die vierte Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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die arme Frau ein Dutzend Kinder und wollte sich schon lange die Eileiter durchtrennen lassen, aber ihr nichtsnutziger Ehemann erlaubte es nicht.
    »Halt die Klappe!« rief die Frau ihrem weggehenden Kollegen nach. Er lachte immer noch, aber sie fand es nicht komisch. »Sie können es haben, wenn Sie wollen«, sagte Wallingford zu ihr. Schließlich hatte Mrs. Clausen ihn gebeten, es zu verschenken. Die Frau schloß ihre dunkle Hand um den Fruchtbarkeitsbringer. »Ich hätte es furchtbar gern, aber ich kann es mir bestimmt nicht leisten.« »Nein, nein! Es ist umsonst. Ich schenke es Ihnen. Es gehört Ihnen schon«, sagte Patrick. »Ich hoffe, es funktioniert, wenn Sie das wollen.« Er konnte nicht sagen, ob die Frau es für sich selbst oder für eine Freundin wollte oder ob sie einfach eine Stelle kannte, wo sie es verscherbeln konnte.
    Ein Stück weit von der Sicherheitsschleuse entfernt drehte sich Wallingford um und sah die Indianerin an. Sie arbeitete weiter - für alle anderen Augen war sie bloß eine Sicherheitsbeamtin -, doch als sie in Patricks Richtung blickte, winkte sie ihm zu und schenkte ihm ein herzliches Lächeln. Außerdem hielt sie die winzige Hand hoch. Wallingford war zu weit weg, um die gekreuzten Finger zu sehen, aber das Schmuckstück blinkte im hellen Licht des Flughafens; wieder schimmerte das Platin wie Gold.
    Es erinnerte Patrick an Doris und Otto Clausens Eheringe, wie sie im Strahl der Taschenlampe zwischen dem dunklen Wasser und der Unterseite des Bootshaussteges geschimmert hatten. Wie oft war Doris, seit sie die Ringe dort angenagelt hatte, unter den Steg geschwommen und hatte sie, mit einer Taschenlampe in der Hand Wasser tretend, betrachtet?
    Oder hatte sie sie niemals betrachtet? Hatte sie sie - wie Wallingford von nun an - nur in Träumen oder in der Phantasie gesehen, wo das Gold stets stärker glänzte und das Spiegelbild der Ringe im See von größerer Dauer war?
    Falls er eine Chance bei Mrs. Clausen hatte, würde sich die Sache nicht an der Feststellung entscheiden, ob Mary Shanahan schwanger war oder nicht. Wichtiger war, wie hell die Eheringe unter dem Steg noch in Doris Clausens Träumen, und in ihrer Phantasie, leuchteten. Als sein Flugzeug nach Cincinnati startete, hing Wallingford - in diesem Moment buchstäblich - ebenso in der Luft wie Doris Clausens Gedanken über ihn. Er würde abwarten müssen.
    Man schrieb Montag, den 26. Juni 1999. Wallingford sollte sich noch lange an das Datum erinnern; er würde Mrs. Clausen erst achtundneunzig Tage später wiedersehen.

12
Lambeau Field
    Er sollte Zeit haben, seine Blessuren auszukurieren. Der blaue Fleck an seinem Schienbein (die Glasplatte des Tisches in Marys Wohnung) wurde zuerst gelb und dann hellbraun; eines Tages war er weg. Auch die Verbrennung (der Heißwasserhahn in Marys Dusche) verschwand bald. Wo sein Rücken zerkratzt gewesen war (Angies Fingernägel), zeigte sich plötzlich keinerlei Spur mehr von Patricks wilder Begegnung mit der Maskenbildnerin aus Queens; selbst die ziemlich große Blutblase an seiner linken Schulter (Angies Liebesbiß) heilte. Wo ein leicht violettes Hämatom (abermals der Liebesbiß) gewesen war, war nun nichts als Wallingfords neue Haut zu erkennen, die so unschuldig aussah wie die Schulter des kleinen Otto - ebenso glatt, ebenso ungezeichnet. Patrick erinnerte sich, wie er die zarte Haut seines Sohnes mit Sonnenschutzmittel eingeschmiert hatte; seinen kleinen Jungen zu berühren und im Arm zu halten fehlte ihm. Ihm fehlte auch Mrs. Clausen, aber er war so klug, nicht auf eine Antwort von ihr zu drängen. Er wußte auch, es war noch zu früh, um Mary Shanahan zu fragen, ob sie schwanger war. Er sagte, sobald er aus Green Bay zurück war, lediglich zu ihr, er wolle auf ihren Vorschlag zurückkommen und seinen Vertrag neu aushandeln. Sein derzeitiger Vertrag lief, darauf hatte Mary hingewiesen, noch achtzehn Monate. War es nicht ihre Idee gewesen, daß er drei oder gar fünf Jahre forderte?
    Ja, war es. (»Verlange drei Jahre«, hatte sie gesagt, »nein, lieber fünf.«) Aber Mary hatte offenbar keinerlei Erinnerung an dieses Gespräch. »Ich denke, drei Jahre wären ein bißchen viel verlangt, Pat«, sagte sie nur. »Verstehe«, erwiderte Wallingford. »Dann kann ich den Moderatorenjob genausogut behalten.« »Aber willst du ihn denn auch wirklich, Pat?«
    Er glaubte nicht, daß Mary nur deshalb so vorsichtig war, weil Wharton und Sabina bei dem Gespräch in ihrem Büro dabei waren. (Der

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