Die vierte Hand
Folgen - zum Beispiel war Irma schwanger -, und im letzten Video, das sie gesehen hatten, war der Ausdruck schwierige Kiste öfter gefallen. Daß Haut eine schwierige Kiste sein konnte, sollte Patrick bald genug merken. Am ersten Montag im Januar, einem Tag nachdem die Packers das Wildcard-Spiel in San Francisco abgegeben hatten, flog Wallingford nach Green Bay. Die Stadt war in Trauer; die Eingangshalle seines Hotels glich einem Beerdigungsinstitut. Er ging auf sein Zimmer, duschte und rasierte sich. Als er bei Doris anrief, nahm ihre Mutter ab. Sowohl das Baby als auch Doris hielten Siesta; sie würde dafür sorgen, daß Doris ihn in seinem Hotel anrief, wenn sie aufwachte. Patrick war so rücksichtsvoll, sie zu bitten, Doris' Vater sein Beileid zu übermitteln. »Wegen der 49ers, meine ich.«
Er schlief noch - und träumte von dem Cottage am See -, als Mrs. Clausen auf sein Hotelzimmer kam. Sie hatte sich nicht telefonisch angekündigt. Ihre Mutter paßte auf das Baby auf. Doris war mit dem Wagen da und würde Patrick später mit nach Hause nehmen, damit er Otto junior sehen konnte.
Er wußte nicht, was das zu bedeuten hatte. War sie darauf aus, einen Moment mit ihm allein zu sein? Wollte sie irgendeinen Kontakt, und sei es nur mit der Hand, den ihre Mutter nicht mitbekommen sollte? Doch als Patrick mit der Handfläche ihr Gesicht berührte - er achtete natürlich darauf, sie nur mit der linken anzufassen -, wandte sich Mrs. Clausen abrupt ab. Und als er daran dachte, ihre Brüste zu berühren, erkannte er, daß sie seine Absicht erriet und angewidert war. Doris zog nicht einmal ihren Mantel aus. Sie war ganz ohne Hintergedanken zu ihm ins Hotel gekommen. Sie hatte wohl einfach Lust auf eine Autofahrt gehabt - das war alles.
Als Wallingford das Baby diesmal sah, schien der kleine Otto ihn zu erkennen. Das war zwar höchst unwahrscheinlich, brach Patrick aber vollends das Herz. Er bestieg das Flugzeug nach Boston mit einer beunruhigenden Vorahnung. Nicht nur hatte Doris keinerlei Kontakt mit der Hand zugelassen - sie hatte sie kaum angesehen! Nahm Otto junior ihre ganze Zuneigung und Aufmerksamkeit in Anspruch? Wallingford machte ein, zwei schlimme Wochen in Boston durch, in denen er darüber nachgrübelte, was Mrs. Clausen ihm womöglich mitteilen wollte. Sie hatte irgend etwas davon gesagt, daß der kleine Otto, wenn er älter sei, vielleicht von Zeit zu Zeit die Hand seines Vaters sehen und halten wolle. Was meinte sie mit »älter« - wieviel älter? Was hieß »von Zeit zu Zeit«? Versuchte sie ihm beizubringen, daß sie ihn weniger oft sehen wollte? Ihre unlängst gegenüber der Hand an den Tag gelegte Kälte hatte bei ihm zur schlimmsten Schlaflosigkeit seit den Schmerzen unmittelbar nach seiner Operation geführt. Irgend etwas stimmte nicht. Wenn Wallingford nun von dem See träumte, war ihm kalt - eine Kälte wie von einer nassen Badehose nach Sonnenuntergang. Das war zwar auch eine von mehreren Empfindungen, die er in dem Blaue-Kapsel-Traum gehabt hatte, doch in dieser neuen Version führte die nasse Badehose nicht zu Sex. Sie führte nirgendwohin. Patrick verspürte nur Kälte, eine Art nördliche Kälte.
Dann wachte er eines Morgens, nicht lange nach seinem Besuch in Green Bay, ungewöhnlich früh mit Fieber auf - er dachte zunächst, es sei die Grippe. Im Badezimmerspiegel konnte er seine linke Hand deutlich sehen. (Er hatte damit das Zähneputzen trainiert; laut seinem Physiotherapeuten war das eine ausgezeichnete Übung.) Die Hand war grün. Die neue Farbe begann ungefähr fünf Zentimeter oberhalb seines Handgelenks und verdunkelte sich zu den Fingerspitzen hin. Es war die moosgrüne Farbe eines tief verschatteten Sees unter wolkenverhangenem Himmel. Es war die Farbe im Dunst oder von fern erblickter Tannen; es war das ins Schwärzliche spielende Dunkelgrün von Kiefern, die sich im Wasser spiegeln. Patrick hatte vierzig Grad Fieber. Er dachte daran, noch vor Dr. Zajac Mrs. Clausen anzurufen, aber zwischen Boston und Green Bay bestand ein Zeitunterschied von einer Stunde, und er wollte weder die frischgebackene Mutter noch das Kind aufwecken. Als er Zajac anrief, sagte der Arzt, er solle direkt ins Krankenhaus kommen - und fügte hinzu: »Ich habe ihnen doch gesagt, Haut ist eine schwierige Kiste.«
»Aber es ist ein Jahr her!« rief Wallingford. »Ich kann mir die Schuhe binden! Ich kann Auto fahren! Ich bin fast so weit, daß ich einen Quarter aufheben kann. Und bei einem Dime bin ich auch
Weitere Kostenlose Bücher