Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die vierte Hand

Die vierte Hand

Titel: Die vierte Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
Wallingford vor Schmerz zusammenzuckte, fand dieses leichte Stechen aber nicht mehr beunruhigend.
    »Eigentlich ist es gar nicht deine Hand«, erinnerte sie ihn - nicht, daß es einer Erinnerung bedurft hätte. »Stell dir vor, wie es für Otto sein muß - ein Kind zu spüren, das er niemals zu Gesicht bekommen wird. Natürlich tut ihm das weh!«
    Aber waren es nicht Wallingfords Schmerzen? In seinem früheren Leben, mit Marilyn, wäre er vielleicht sarkastisch geworden. (»Jetzt, wo du's so sagst, mache ich mir auch keine Sorgen mehr.«) Bei Doris dagegen... tja, alles, was er tun konnte, war, sie anzubeten. Überdies sprach einiges für Mrs. Clausens Argument. Die neue Hand sah nicht wie die von Patrick aus - und würde auch niemals so aussehen. Ottos linke Hand war gar nicht soviel größer, aber wir betrachten unsere Hände häufig - es fällt schwer, sich an die eines anderen zu gewöhnen. Es gab Zeiten, da starrte Wallingford seine Hand gespannt an, als rechnete er damit, daß sie etwas sagte; auch konnte er der Versuchung nicht widerstehen, daran zu riechen - sie roch nicht nach ihm. Aufgrund der Art, wie Mrs. Clausen die Augen schloß, wenn sie daran roch, wußte er, daß die Hand nach Otto roch.
    Es gab willkommene Ablenkungen. Während seiner langen Genesung und Rehabilitation erlebte Patricks Karriere, die in der Bostoner Redaktion ihre Fortsetzung genommen hatte, damit er Zajac und dem Bostoner Team nahe war, einen Aufschwung. (Vielleicht ist »Aufschwung« ein zu starkes Wort; sagen wir einfach, daß der Sender ihm erlaubte, seinen Tätigkeitsbereich ein wenig zu erweitern.)
    Der internationale 24-Stunden-Kanal schuf einen eigenen Wochenend-Sendeplatz nach den Abendnachrichten für ihn; dieser SamstagabendKommentar zu den regulären Nachrichten wurde von Boston ausgestrahlt. Zwar übergaben die Produzenten Wallingford noch immer sämtliche bizarren Unglücksfälle, aber sie ließen sie ihn mit einer Würde vorstellen und zusammenfassen, die neu und überraschend war - sowohl bei Wallingford als auch bei dem Nachrichtensender. Niemand in Boston oder New York - nicht Patrick und nicht einmal Dick - hatte eine Erklärung dafür.
    Patrick Wallingford agierte vor der Kamera, als wäre Otto Clausens Hand wirklich und wahrhaftig seine eigene, und er ließ ein Mitgefühl erkennen, das dem Katastrophenkanal und Patricks Berichten zuvor abgegangen war. Es war, als ob er wüßte, daß er von Otto Clausen nicht nur eine Hand bekommen hatte.
    Für ernsthafte Reporter - das heißt jene Journalisten, die ausführlich und im Kontext über harte Nachrichten informierten - war natürlich schon die Vorstellung eines Kommentars zu dem, was bei Apokalypse International als Nachrichten galt, vollkommen lachhaft. Die eigentlichen Nachrichten handelten von Flüchtlingskindern, deren Mütter und Tanten vor ihren Augen vergewaltigt worden waren, obwohl weder die Frauen noch die Kinder das normalerweise zugaben. In den eigentlichen Nachrichten waren die Väter und Onkel dieser Flüchtlingskinder ermordet worden, wenngleich auch das nur selten zugegeben wurde. Außerdem gab es Berichte über Ärzte und Krankenschwestern, die erschossen wurden - absichtlich, damit die Flüchtlingskinder nicht mehr medizinisch versorgt waren. Doch von derartigen vorsätzlichen Grausamkeiten in fremden Ländern wurde auf dem sogenannten internationalen Kanal weder ausführlich berichtet, noch bekam Patrick Wallingford je den Auftrag, darüber zu berichten. Eher erwartete man von ihm, daß er bei den Opfern schlichtweg dummer Unfälle wie dem seinen eine nicht zu vermutende Würde entdeckte und Mitgefühl für sie aufbrachte. Wenn hinter dieser verwässerten Form von Nachrichten überhaupt so etwas wie ein Gedanke stand, dann ein ganz bescheidener: daß selbst das Grausige noch etwas Erhebendes hat (oder haben sollte), vorausgesetzt, das Grausige ist idiotisch genug. Was machte es also, daß der Nachrichtensender Patrick Wallingford niemals nach Jugoslawien schickte? Wie hatte der Bruder des verwirrten Doorman doch gleich zu Vlad, Vlade oder Lewis gesagt? (»Immerhin hast du Arbeit, oder?«) Immerhin hatte Wallingford Arbeit, oder? Sonntags hatte er meistens frei und konnte nach Green Bay fliegen. Als die Football-Saison anfing, war Mrs. Clausen im achten Monat schwanger; es war das erste Mal überhaupt, daß sie kein einziges Heimspiel der Packers im Lambeau Field sehen würde. Sie wolle nicht an der 4O-Yard-Linie die Wehen bekommen, scherzte sie -

Weitere Kostenlose Bücher