Die vierte Hand
im Leben so mit jemandem gesprochen!« fuhr die Frau fort. »Ich sollte nicht Ihnen persönlich vorwerfen, was die Medien tun oder was ich glaube, daß sie tun. Aber ich war einfach dermaßen fertig wegen der Sache mit John junior, und mehr noch wegen meiner ersten Reaktion. Als ich gehört habe, daß sein Flugzeug vermißt wird, wissen Sie, was ich da gedacht habe?«
»Nein.« Patrick schüttelte den Kopf; von dem heißen Wasser trat ihm der Schweiß auf die Stirn, und er konnte Schweißperlen auf der Oberlippe der Frau sehen.
»Ich war froh, daß seine Mutter tot ist... daß sie das alles nicht durchmachen muß. Um ihn hat es mir leid getan, aber ich war froh, daß sie tot ist. Ist das nicht furchtbar?«
»Es ist vollkommen verständlich«, erwiderte Wallingford. »Sie sind Mutter...« Sein Bedürfnis, ihr unter Wasser einfach nur das Knie zu tätscheln, war ehrlich - das heißt tief empfunden, ohne im geringsten sexuell motiviert zu sein. Aber weil das Bedürfnis seinen Weg durch den linken Unterarm nahm, war da keine Hand, mit der er das Knie hätte tätscheln können. Ohne Absicht entriß er ihr seinen Stumpf; er hatte erneut das Gekrabbel der unsichtbaren Insekten verspürt. Für eine schwangere, einundfünfzig Jahre alte Mutter mit zwei Kindern und eine schwangere Großmutter mit vier Enkelkindern war die Frau recht resolut und ließ sich von Patricks unbeherrschter Geste nicht einschüchtern. Sie griff in aller Ruhe wieder nach seinem handlosen Arm. Zu seiner eigenen Überraschung legte er seinen Stumpf bereitwillig in ihren Schoß zurück. Die Frau ergriff seinen Unterarm ohne Vorwurf, als hätte sie nur kurzzeitig irgendeinen von ihr geschätzten Gegenstand verlegt.
»Ich möchte mich dafür entschuldigen, daß ich Sie in aller Öffentlichkeit angegriffen habe«, sagte sie ernsthaft. »Das war nicht nötig. Ich bin einfach völlig durcheinander.« Sie packte seinen Unterarm so fest, daß Wallingfords fehlender linker Daumen einen unmöglichen Schmerz registrierte. Er zuckte zusammen. »O Gott! Ich habe Ihnen weh getan!« rief die Frau und ließ seinen Arm los. »Und dabei habe ich Sie noch nicht einmal gefragt, was Ihr Arzt gesagt hat!«
»Alles in Ordnung«, sagte Patrick. »Es sind hauptsächlich die Nerven, die sich regeneriert haben, als die neue Hand angefügt wurde. Diese Nerven machen jetzt Ärger. Mein Arzt meinte, das Problem sei mein Liebesleben oder einfach Streß.«
»Ihr Liebesleben«, wiederholte die Frau ausdruckslos, als wäre das kein Thema, auf dessen Behandlung sie Wert legte. Auch Wallingford legte darauf keinen Wert. »Warum sind Sie eigentlich noch hier?« fragte sie plötzlich.
Patrick dachte zunächst, sie meinte das Heißwasserbecken. Er wollte gerade sagen, er sei noch hier, weil sie ihn festhalte! Dann ging ihm auf, daß sie meinte, warum er nicht nach New York zurückgeflogen war. Oder ob er, wenn er schon nicht in New York war, nicht eigentlich in Hyannisport oder Martha's Vineyard sein müßte.
Wallingford fürchtete sich davor, ihr zu sagen, daß er die unvermeidliche Rückkehr zu seinem fragwürdigen Beruf hinausschob (»fragwürdig« in Anbetracht des Kennedy-Spektakels, zu dem er bald beitragen würde); dennoch gab er es ihr gegenüber zu, wenngleich widerstrebend, und er erzählte ihr außerdem, er habe vorgehabt, zu Fuß zum Harvard Square zu gehen, um zwei Bücher zu kaufen, die sein Arzt empfohlen habe. Er habe sich überlegt, den Rest des Wochenendes damit zuzubringen, sie zu lesen.
»Aber ich hatte Angst, daß irgendwer am Harvard Square mich erkennt und so was Ähnliches zu mir sagt wie das, was Sie beim Frühstück zu mir gesagt haben.« Patrick fügte hinzu: »Es wäre nicht unverdient gewesen.«
»O Gott!« sagte die Frau erneut. »Sagen Sie mir, was das für Bücher sind. Ich besorge sie Ihnen. Mich erkennt kein Mensch.« »Das ist sehr nett von Ihnen, aber -«
»Bitte lassen Sie mich die Bücher besorgen! Es ginge mir dann besser!« Sie lachte nervös und strich sich das feuchte Haar aus der Stirn. Wallingford nannte ihr folgsam die Titel. »Ihr Arzt hat das empfohlen? Haben Sie denn Kinder?« »Es gibt da einen kleinen Jungen, der wie ein Sohn für mich ist, oder vielmehr, ich will, daß er mehr wie ein Sohn für mich ist«, erklärte Patrick. »Aber er ist noch zu jung, als daß ich ihm Klein Stuart oder Wilbur und Charlotte vorlesen könnte. Ich will die Bücher einfach haben, damit ich mir vorstellen kann, wie ich sie ihm in ein paar Jahren
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