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Die vierte Hand

Die vierte Hand

Titel: Die vierte Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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zu einer Frau gesprochen hätte, mit der er gerade schlief. »Bitte lesen Sie weiter. Wenn Sie mit Wilbur und Charlotte anfangen, lese ich es fertig. Ich lese Ihnen den Schluß vor.«
    Sarah hatte ihre Lage im Bett leicht verändert, so daß Patricks Penis nun die Rückseite ihrer Oberschenkel streifte; sein Unterarmstumpf strich über ihren Hintern. Es hätte ihr einfallen können, zu überlegen, was, ungeachtet des Größenfaktors, was war, aber dieser Gedanke hätte sie beide zu einer sehr viel alltäglicheren Erfahrung geführt. Als der Anruf von Mary kam, unterbrach er die Szene in Wilbur und Charlotte, in der Charlotte (die Spinne) Wilbur (das Schwein) auf ihren bevorstehenden Tod vorbereitet.
    »Schließlich, was ist so ein Leben schon?« fragt Charlotte. »Wir werden geboren, wir leben ein Weilchen, und dann sterben wir. Und ein Spinnenleben ist einfach irgendwie vermurkst mit diesem ewigen Fallenstellen und Fliegenfressen.«
    In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Wallingford packte eine von Sarahs Brüsten fester. Sarah zeigte ihre Verärgerung über den Anruf dadurch, daß sie den Hörer abnahm und mit scharfer Stimme »Wer ist da?« fragte.
    »Und wer ist da? Wer sind Sie?« schrie Mary ins Telefon. Sie war so laut, daß Patrick sie hören könnte - er stöhnte.
    »Sagen Sie ihr, Sie sind meine Mutter«, flüsterte er Sarah ins Ohr. (Er schämte sich kurz, als ihm einfiel, daß seine Mutter noch gelebt hatte, als er diesen Spruch das letzte Mal verwendet hatte.)
    »Ich bin Patrick Wallingfords Mutter, Liebes«, sagte Sarah Williams in den Hörer. »Und wer sind Sie?« Das vertraute »Liebes« ließ Wallingford erneut an Evelyn Arbuthnot denken.
    Mary legte auf.
    Ms. Williams las weiter aus dem vorletzten Kapitel von Wilbur und Charlotte, das mit dem Satz schließt: »Niemand war bei ihr, als sie starb.« Schluchzend reichte Sarah Patrick das Buch. Er hatte versprochen, ihr das letzte Kapitel über Wilbur das Schwein - »Und so kam Wilbur heim zu seinem geliebten Misthaufen ...« - vorzulesen, dessen Geschichte Wallingford ohne Emotionen vortrug, als wären es die Nachrichten. (Es war besser als die Nachrichten, aber das war eine andere Geschichte.) Als Patrick zu Ende gelesen hatte, dösten sie, bis es draußen dunkel war; schlaftrunken machte er das Licht auf dem Nachtschränkchen aus, so daß es nun auch im Hotelzimmer dunkel war. Er lag still. Sarah Williams hielt ihn in den Armen, ihre Brüste drückten sich gegen seine Schulterblätter. Die feste, aber sanfte Wölbung ihres Bauches paßte in die Einbuchtung an seinem Kreuz; einer ihrer Arme umschlang seine Taille. Mit der Hand packte sie seinen Penis ein klein wenig fester, als es angenehm war. Trotzdem schlief er ein.
    Wahrscheinlich hätten sie die Nacht durchgeschlafen. Andererseits hätten sie auch unmittelbar vor Morgengrauen aufwachen und im Halbdunkel leidenschaftlich miteinander schlafen können, möglicherweise weil sie beide wußten, daß sie einander nie wiedersehen würden. Aber es spielt kaum eine Rolle, was sie getan hätten, denn das Telefon klingelte erneut.
    Diesmal nahm Wallingford ab. Er wußte, wer es war, Selbst im Schlaf hatte er den Anruf erwartet. Er hatte Mary erzählt, wie und wann seine Mutter gestorben war. Es überraschte ihn, wie lange Mary gebraucht hatte, bis ihr das wieder einfiel.
    »Sie ist tot! Deine Mutter ist tot! Das hast du mir selbst erzählt! Sie ist gestorben, als du noch auf dem College warst!« »Das stimmt, Mary.«
    »Du bist in jemanden verliebt!« heulte Mary. Natürlich konnte Sarah sie hören.
    »Das stimmt«, antwortete Patrick. Er sah keinen Grund, Mary zu erklären, daß es nicht Sarah Williams war, die er liebte. Mary versuchte es einfach schon zu lange bei ihm.
    »Das ist doch dieselbe junge Frau, oder?« fragte Sarah. Beim Klang von Sarahs Stimme legte Mary, ob sie nun tatsächlich verstand, was Sarah sagte, oder nicht, erneut los.
    »So, wie sie sich anhört, könnte sie jedenfalls deine Mutter sein!« kreischte Mary. »Mary, bitte -«
    »Dieser Dicktuer Fred sucht dich, Pat. Alle suchen dich! Es geht nicht, daß du übers Wochenende wegfährst, ohne eine Nummer zu hinterlassen! Es geht nicht, daß du unerreichbar bist! Legst du's darauf an, daß man dich feuert, oder was?«
    Es war das erste Mal, daß Patrick daran dachte, es darauf anzulegen, daß man ihn feuerte; in dem dunklen Hotelzimmer erstrahlte der Gedanke so hell wie der digitale Wecker auf dem Nachtschränkchen. »Du weißt aber

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