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Die vierte Hand

Die vierte Hand

Titel: Die vierte Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Nacht, Doris. Gute Nacht, mein kleiner Otto«, flüsterte Wallingford in dem dunklen Hotelzimmer. Es war das, was er sagte, wenn er sicher sein wollte, daß er nicht schauspielerte.

10
Wie man es darauf anlegt, gefeuert zu werden
    Ganz Amerika hatte fast eine Woche lang mit Hingabe getrauert, als Wallingford vergeblich versuchte, Vorbereitungen für ein improvisiertes Wochenende mit Mrs. Clausen und Otto junior in der Hütte am See in Wisconsin zu treffen. Die Freitagabendsendung, eine Woche nach dem Absturz von Kennedys einmotoriger Maschine, würde seine letzte vor seiner Reise in den Norden sein, obwohl er erst für Samstag morgen einen Flug von New York mit Anschluß nach Green Bay bekommen konnte. Nach Green Bay gab es keine guten Verbindungen. Die Donnerstagabendsendung war schon schlimm genug. Sie wußten bereits nichts mehr zu sagen, was sich deutlich an Wallingfords Interview mit einer weithin unbeachteten feministischen Kritikerin zeigte. (Sogar Evelyn Arbuthnot hatte sie bewußt ignoriert.) Die Kritikerin hatte ein Buch über die Kennedys geschrieben und darin behauptet, sämtliche Männer der Familie seien frauenfeindlich. Daß ein junger Kennedy mit seinem Flugzeug zwei Frauen zu Tode gebracht hatte, wunderte sie nicht. Patrick bat darum, das Interview zu streichen, aber Fred glaubte, die Frau spreche für viele Frauen. Nach der scharfen Reaktion der Frauen aus dem New Yorker Nachrichtenstudio zu urteilen, sprach die feministische Kritikerin nicht für sie. Wallingford, als Interviewer stets zuvorkommend, mußte an sich halten, um einigermaßen höflich zu bleiben. Die feministische Kritikerin sprach immer wieder von der »fatalen Entscheidung« des jungen Kennedy, als wären sein Leben und Tod ein Roman gewesen. »Sie starteten spät, es war dunkel, es war neblig, sie flogen über Wasser, und John-John war ein wenig erfahrener Pilot.« Das waren keine neuen Gesichtspunkte, dachte Patrick, das gutaussehende Gesicht zu einem wenig überzeugenden Halblächeln erstarrt. Er fand es außerdem anstößig, daß die herrische Frau den Verstorbenen unentwegt »John-John« nannte.
    »Er war ein Opfer seines männlichen Denkens, des Kennedymann-Syndroms«, so drückte sie es aus. »John-John war eindeutig testosteronbestimmt. Das sind sie alle.«
    »›Sie...‹«, war alles, was Patrick herausbrachte.
    »Sie wissen, wen ich meine«, fauchte die Kritikerin. »Die Männer auf der väterlichen Seite der Familie.«
    Patrick warf einen Blick auf den Teleprompter, wo er die nächsten für ihn vorgesehenen Bemerkungen stehen sah; sie sollten seine Interviewpartnerin auf die noch dubiosere Behauptung einer »Schuld« von Lauren Bessettes Vorgesetzten bei Morgan Stanley bringen. Daß sie an »jenem fatalen Freitag«, wie die feministische Kritikerin ihn nannte, länger habe arbeiten müssen, sei ein weiterer Grund für den Absturz des Flugzeuges.
    Bei der Vorbesprechung hatte Patrick Einwände dagegen erhoben, daß eine seiner Fragen im Wortlaut auf dem Prompter stand. Das wurde fast nie so gemacht - es brachte einen jedesmal durcheinander. Man kann nicht alles, was spontan wirken soll, auf den Prompter schreiben. Aber die Kritikerin hatte einen Publicitymanager mitgebracht, einen Menschen, vor dem Fred - aus unbekannten Gründen - kroch. Der Publicitymanager bestand darauf, daß Wallingford die Frage genauso stellte, wie sie formuliert war, denn die Dämonisierung von Morgan Stanley war der nächste Punkt auf der Tagesordnung der Kritikerin, und Wallingford sollte sie (mit vorgetäuschter Unschuld) darauf bringen. Statt dessen sagte er: »Für mich steht keineswegs fest, daß John F. Kennedy jr. ›testosteronbestimmt‹ war. Sie sind natürlich nicht die erste, von der ich das höre, aber ich habe ihn nicht gekannt. Sie haben ihn auch nicht gekannt. Fest steht allerdings, daß wir seinen Tod zu Tode geritten haben. Ich finde, wir sollten etwas Würde zeigen - wir sollten einfach aufhören. Es wird Zeit, sich anderem zuzuwenden.« Wallingford wartete die Reaktion der beleidigten Frau gar nicht ab. Es blieb noch über eine Minute Sendezeit, aber man verfügte über reichlich vorbereitetes Filmmaterial. Er brachte das Interview abrupt zu Ende, indem er, seiner abendlichen Gewohnheit entsprechend, sagte: »Gute Nacht, Doris. Gute Nacht, mein kleiner Otto.« Es folgte das allgegenwärtige Bildmaterial; daß es ein wenig wirr dargeboten wurde, spielte kaum eine Rolle.
    Die Zuschauer des internationalen

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