Die vierte Schlinge: Thriller (German Edition)
leblose Aussehen einer computergenerierten Abbildung, aber alle Details waren genau zu erkennen.
»Toll. Das ist eine außergewöhnliche Software.«
»Das stimmt. Es ist das Modernste, was es auf diesem Gebiet gibt.«
»Und Sie möchten, dass ich lerne, wie man damit arbeitet?«
»Wenn Sie alle diese detaillierten Figürchen basteln konnten, werden Sie wohl auch etwas vom Zeichnen verstehen.«
Neva nickte. »Ich wollte eigentlich Kunst studieren, aber meine Eltern rieten mir ab. Sie meinten, mit Kunst könne man unmöglich seinen Lebensunterhalt verdienen.«
»Nun, Sie stehen kurz davor. Es gibt bei der Gesichtsrekonstruktion einige Probleme. Dazu gehören zum Beispiel die Charakteristiken, die sich nicht von den Knochen ablesen lassen: die Form der Augen, Lippen und der Nasenspitze. Und genau diese lassen uns ein Gesicht erst erkennen. Die Leute erkennen Karl Maldens Nasenspitze, ohne den Rest seines Gesichts zu sehen.«
»Wer ist Karl Malden?«
»Jemanden, dessen Nase Sie sofort erkennen würden, wenn Sie so alt wären wie ich. Wahrscheinlich kennen Sie dann auch Jimmy Durante nicht.«
Neva hielt eine Hand hoch, als hielte sie einen Hut, bewegte sie dann schnell hin und her und sang: »Hot-cha-cha-cha-cha!« Ihre Parodie von Jimmy Durantes berühmten Auftritten war so perfekt, dass Diane vor Lachen fast vom Stuhl fiel.
»Ich habe damit als Kind meine Verwandten unterhalten. Erstaunlich, womit man als Kind alles Erfolg hat.«
»Ihre Talente scheinen ja sehr vielfältig zu sein.«
Diane schüttelte den Kopf und lenkte die Aufmerksamkeit zurück auf Ethels computergeneriertes Foto.
»Wir könnten das Ethels Mutter zeigen, und sie würde sie höchstwahrscheinlich nicht wiedererkennen. Ihre Mutter kannte sie als lebendes Wesen mit all seinen Eigenheiten, Gesichtsausdrücken und Gesten. Sie kannte alle Einzelheiten des Gesichts ihrer Tochter, und dieses Bild enthält eben keines dieser feinen Details, die Ethel erst zu dem Menschen machte, der ihre Tochter war.
Wenn wir es jedoch dem Ladenangestellten zeigen würden, der gewöhnlich Ethels Lebensmittel in ihre Einkaufstüte packte, würde der sie vielleicht erkennen. Er erinnert sich vielleicht nicht mehr an ihre Nasenspitze, aber er erinnert sich an ihr allgemeines Aussehen. Was wir brauchen, sind Bilder, die sowohl eine Mutter als auch ein flüchtiger Bekannter wiedererkennen würden. Ich möchte gerne, dass Sie sich ein solches Bild vornehmen und daraus eine realistischere Abbildung machen.«
Neva drückte mit dem Finger auf ihren Nasenrücken. »Okay. Das kann ich.«
»Das heißt, dass Sie lernen müssen, wie man diese Softwareprogramme bedient.«
»Ich kann gut mit Computern umgehen.«
»Prima. Am besten schauen Sie sich erst einmal die Computerrekonstruktionsdateien von Fred und Ethel an, um sich mit dem gesamten Prozess vertraut zu machen. Danach nehmen wir uns die drei Erhängten vor. Wenn wir ein CT-Scan unserer Mumie bekommen haben, zeige ich Ihnen, wie man die Ergebnisse eines solchen Scans dazu benutzen kann, deren Gesicht wiederherzustellen.«
Neva nickte.
»Sie müssen auch alle Schädelknochen kennenlernen und wissen, inwieweit diese Knochen das Aussehen des Gesichts bestimmen«, fuhr Diane fort. »Und Sie müssen auch auf andere Einzelheiten achten. Wenn man zum Beispiel weiß, dass eine Person auf einem Bein hinkte, könnte das bei ihr zu einem ganz bestimmten Gesichtsausdruck geführt haben. Oder wenn die toxikologische Untersuchung eines verwesten Opfers auf die Einnahme von Medikamenten gegen Schilddrüsenerkrankungen hinweist, dann können Sie ihm in Ihrem Bild schon einmal stark hervorquellende Augen geben. Aber ein Großteil dieser Arbeit ist tatsächlich rein intuitiv.«
Neva betrachtete noch einmal genau den Schädel auf dem Drehtisch und sagte dann: »Ich habe schon einmal gesehen, wie sie mit Hilfe von kleinen Haltestiften als Indikatoren für die Gesichtstiefe ein Gesicht plastisch rekonstruiert haben. Aber ich habe nie verstanden, wie sie überhaupt wissen können, wie genau die Nase ausgesehen hat.«
»Die Form der Nasenspitze können Sie natürlich nicht kennen. Jedoch …«
Diane nahm den Schädel in die Hand, setzte sich an einen Tisch und forderte Neva auf, sich neben sie zu setzen. »Die Breite der Nase lässt sich an der Größe der Nasenöffnung ablesen. Der Nasenrücken und der Nasendorn – dieser scharfe Vorsprung am unteren Ende des Nasengangs – bestimmen die Länge der Nase. Eine große Nase braucht auch
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