Die vierte Schlinge: Thriller (German Edition)
dachten auch, dass Sie alt und lahm gewesen seien.«
Neva grinste. »Ja, das stimmt.«
»Bei noch nicht so alten Skeletten können Sie aus der Aufwärtsneigung des unteren Nasenbeins schließen, dass deren Nasen wahrscheinlich einen Höcker hatten. Manchmal scheinen auch Menschen einen Nasenhöcker zu haben, deren Knorpel, die die Nasenspitze stützten, auf irgendeine Weise beschädigt wurden. Dies kann durch einen Unfall oder auch durch einen starken Schlag auf die Nase geschehen.«
»Und das kann man dann am Schädel erkennen?«
»Nicht unbedingt. Man sieht vielleicht einen Bruch im Nasenbein, weiß dann aber nicht, was für Auswirkungen dieser Bruch tatsächlich hatte. So, das war wohl mehr, als Sie über die Bestimmung der Nasenform mit Hilfe des Schädels tatsächlich wissen wollten.«
»Nein, auf keinen Fall. Das war äußerst hilfreich. Ich habe all diese Nasentypen schon bei den unterschiedlichsten Leuten gesehen. Dabei ist mir aber nie in den Sinn gekommen, dass dies etwas mit ihren Knochen zu tun haben könnte. Wie ist es eigentlich mit den Augen und Lippen?«
»Die sind ein größeres Problem. Wie weit die Augen auseinanderliegen, weiß man, denn man hat ja die Augenhöhlen. Aber darüber hinaus lässt sich kaum etwas feststellen. Es hilft natürlich, wenn man etwas über das Geschlecht und die Rasse weiß und die Gesichtsgeometrie kennt, zum Beispiel wo die Mundwinkel im Verhältnis zu den anderen prägenden Gesichtszügen liegen. Auch das Alter spielt eine große Rolle. Wenn man älter wird, werden die Augenlider schlaff, und auch die Lippenlinie ist weniger scharf. Aber wie ich bereits sagte, ist vieles eine Sache der Intuition. Man muss einfach aus den Informationen, die einem zur Verfügung stehen, das Beste machen. Aber Grundlage jeder Rekonstruktion bleiben immer die Knochen.«
Das Telefon auf Dianes Schreibtisch klingelte. Ein Licht zeigte, dass es sich um einen museumsinternen Anruf handelte.
Diane drückte die Lautsprechertaste, so dass Neva mithören konnte.
»Fallon hier.«
»Dr. Fallon, hier ist Andie. Ich habe Ihre E-Mails durchgeschaut und dabei eine gefunden, die ziemlich seltsam ist.«
»Seltsam? Inwiefern?«
»Ich lese sie Ihnen vor. Sie lautet: ›Manchmal sind die Toten schuldig‹.«
Neva und Diane schauten sich an.
»Die Toten sind schuldig? Was soll das denn heißen?«
»Ich weiß es nicht. Ich gehe mal nach unten. Sie bleiben am besten hier und machen sich weiter mit der Software vertraut.«
Diane verließ ihr Labor und fuhr mit dem Aufzug ins Erdgeschoss. Andie saß an ihrem Schreibtisch, als sie in ihr Büro kam.
»Was meinen Sie, worum es hier geht?«, fragte Andie und machte den Sitz vor Dianes Computer frei.
Diane schaute sich die Nachricht mit eigenen Augen an. Manchmal sind die Toten schuldig. Das war alles. Keine Unterschrift, keine Erklärung. Diane schaute auf den Absender. JMLndrmn23. Damit konnte sie überhaupt nichts anfangen. Wer von ihren Bekannten sollte ihr im Übrigen eine solche Botschaft schicken?
Manchmal sind die Toten schuldig. Spielte ihr hier jemand einen Streich? Ein unbehagliches Gefühl stieg in ihr auf.
»Werden Sie darauf antworten?«
Andies Stimme ließ sie zusammenzucken. Sie hatte ganz vergessen, dass diese immer noch neben ihrem Schreibtisch stand.
»Ich weiß nicht.« Aber im gleichen Moment klickte sie auf den »Antworten«-Knopf, schrieb: Was wollen Sie damit sagen?, und drückte auf den »Sofort versenden«-Knopf.
»Was glauben Sie, will er damit sagen?«, fragte Andie.
Diane schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich so ein Selbstgerechter, der nicht mag, dass das Museum mit dem Kriminallabor verbunden ist.«
Langsam begann sie sich selbst zu fragen, ob diese Verbindung eine so gute Idee war. Aber Rosewood hatte ihr eigentlich keine Wahl gelassen.
Auf jeden Fall war das Ganze äußerst seltsam. Sie hatte doch gerade erst etwas anderes als seltsam empfunden. Natürlich, die Blumen!
In diesem Moment erschien David in der Tür und unterbrach ihre Gedanken. »Garnett hat gerade angerufen. Wir haben einen neuen Fall.«
18
D iane fuhr zur Adresse, die ihr David genannt hatte. Die Briarwood Lane war eine von alten Bäumen gesäumte Stichstraße in einem gemischten Viertel, in dem Hispanos, Weiße und Schwarze lebten. Viele von ihnen standen vor ihren Holzhäusern und schauten in Richtung des asphaltgedeckten, grauen Hauses, vor dem einige Rettungsfahrzeuge standen.
David, Jin und Neva waren kurz vor ihr eingetroffen und
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