Die vierte Todsuende
Wir benutzen ähnliche Untersuchungsmethoden — endlose Verhöre, das allmähliche Sammeln von Anhaltspunkten, die von Bedeutung sein mögen oder auch nicht, das Zusammensetzen eines Puzzles zu einem erkennbaren Bild. Würden Sie nicht auch sagen, dass Psychiater und Psychologen Detektive sind?«
Dr. Samuelson richtete sich, plötzlich interessiert, auf.
»Die Methode mag eine ähnliche sein«, sagte er mit seiner leicht quiekenden Stimme, »doch sind die zugrundeliegenden Motive völlig entgegengesetzter Art. Der Detektiv führt eine Kriminaluntersuchung. Er will Schuld nach- und zuweisen. Schuld ist aber ein Wort, das es in diesem polizeilichen Sinn im Lexikon des Psychiaters nicht gibt. Man kann den Patienten nicht für das bestrafen, was aus ihm geworden ist. Im allgemeinen ist er als Opfer zu betrachten, nicht als Verbrecher.«
»Meinen Sie damit, er ist schuldlos?« fragte Delaney absichtlich provozierend. »Ist der Psychopath, der jemand umbringt, völlig ohne Schuld?«
Mrs. Ellerbee meldete sich sehr bestimmt zu Wort: »Was Julie meint, ist nichts anderes, als dass ein Mord als solcher bereits auf das Vorhandensein geistiger oder emotionaler Störungen hindeutet.«
»Ach, ach — die bedauernswerten Buben und Mädchen, die andere Leute über den Haufen knallen, die sollen alle krank sein?« provozierte Delaney weiter. »Sie sollen behandelt, statt bestraft werden? Und wie steht es mit den Kerlen, die sich an Kindern vergreifen, ein bisschen krank, aber keineswegs schuldig?«
Jetzt fiel auch Boone ein, der geradezu in Feuer geriet. »Und was ist mit denen, die für Geld morden? Das ist doch unser tägliches Brot. Irgendein argloser Passant wird totgeschlagen und um eine Handvoll Dollar beraubt. Soll ein solcher Täter straflos ausgehen, bloß weil die Gesellschaft ihm kein Mindesteinkommen garantiert? Glauben Sie, der totale Wohlfahrtsstaat würde dazu führen, dass niemand mehr um Geldes willen mordet? O nein! Die Menschen werden einander immer umbringen, wenn ihnen das Profit einbringt. Und das nicht, weil sie krank sind, sondern unersättlich. Und dagegen hilft am besten die Todesstrafe.«
»Ich halte nichts von der Todesstrafe«, widersprach Rebecca Boone ihrem Mann entschieden.
»Einverstanden«, stimmte Mrs. Ellerbee zu, »Hinrichtung kann die Antwort nicht sein. Dass die Todesstrafe nicht abschreckt, beweist die Statistik.«
»Denjenigen, der hingerichtet wird, schreckt sie gewiss ab«, stichelte Delaney, »der kommt nicht auf Bewährung frei, nur um das nächste Opfer umzubringen. Was man gegen die Psychiater einwenden muss, ist dasselbe, was man auch den Geistlichen vorwirft: Sie halten jeden für erlösungsfähig. Sie wollten was sagen, Sergeant?«
»Manche Menschen sind von Geburt an bösartig und bleiben es bis an ihr Lebensende. Fragen Sie irgendeinen Polizisten. Der Abschaum dieser Welt kann nicht erlöst werden.«
»Ganz richtig!« sagte Delaney heftig. Und zu Samuelson und Mrs. Ellerbee gewandt: »Was Sie nicht zugeben wollen, ist, dass manche Menschen moralisch so durch und durch verkommen sind, dass ihnen nicht zu helfen ist. Für die ist es ganz natürlich, böse zu sein. Sie suhlen sich förmlich darin! Und ohne solche Menschen wäre die Welt besser dran.«
»Und was gibt es für Verbrechen aus Leidenschaft?« gab Monica zu bedenken. »In einem spontanen Ausbruch unbeherrschbarer Leidenschaft?«
»Meinen Sie vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit?« fragte Boone. »Wollen Sie darauf hinaus? Aber das hat ebenfalls sein Bedenkliches. Wir sollen der Bezeichnung Homo sapiens Ehre machen, als vernunftbegabte Wesen unsere primitiven Instinkte beherrschen können. Das versteht man schließlich unter Zivilisation. Ein Verbrechen aus Leidenschaft ist ebenfalls ein Verbrechen, Punktum. Und das Motiv sollte am Urteil nichts ändern.«
Nun wurde das Streitgespräch allgemein, es ging um Schuld, Verantwortung, Todesstrafe, Bewährungsfristen, den Konflikt zwischen Justiz und Gerechtigkeit. Delaney lehnte sich zurück, höchst zufrieden angesichts des heftigen Tumultes, den er da entfesselt hatte. Eine gelungene Party. Endlich ließ er sich selber wieder vernehmen: »Ist Ihnen nie aufgefallen, dass der Anwalt eines auf frischer Tat ertappten Killers unweigerlich auf momentane Unzurechnungsfähigkeit plädiert und zur Untermauerung seiner These eine ganze Kompanie ›freundlicher‹ Psychiater anheuert?«
»Und der Angeklagte verkündet aller Welt, er fühle sich endlich wie neugeboren
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