Die vierte Todsuende
und wolle fortan ein geläutertes Leben führen«, setzte Boone hinzu.
»Sie«, wandte Delaney sich an die beiden Seelenärzte, »Sie sind allzu bereit, Entschuldigungen für Ihre Patienten zu finden. Weshalb geben Sie nicht zu, dass das Böse in der Welt nun mal existiert? Was war denn ein Hitler Ihrer Meinung nach, ein böser Mensch oder nur geistig gestört?«
»Er war beides«, antwortete Dr. Samuelson. »Seine Krankheit nahm die Form des Bösen an. Wäre er aber rechtzeitig behandelt worden, so hätten Aussichten auf Heilung bestanden.«
Der Streit flammte von neuem auf, und allmählich gelangte man zum Problem des sogenannten Normalen, der jahrelang eine einwandfreie bürgerliche Existenz geführt hatte, dann aber, wie aus heiterem Himmel, eine unerklärliche, besonders grausige Tat beging.
»Ich hatte einmal einen solchen Fall«, erzählte Delaney. »Es handelte sich um einen Zahnarzt aus der Bronx… Wie es schien, lebte er ohne besonderen gefühlsmäßigen Druck, auch ohne wirtschaftlichen… ein braver Bürger, ein ruhiger Mensch. Der fing an, sich als Heckenschütze zu betätigen, das heißt, er stieg auf seinen Dachboden und nahm von dorther Passanten unter Feuer. Zwei Tote gab es dabei und fünf Verletzte. Das konnte sich niemand erklären, und ich glaube, er sitzt immer noch in einer geschlossenen Anstalt. Ich selber habe ihn nicht für übergeschnappt gehalten, aber wenn ich ihnen sage, welches Motiv ich bei ihm vermute, lachen Sie mich wahrscheinlich aus. Ich nehme an, er langweilte sich schlicht und einfach. In seinem Leben gab es keinerlei Höhepunkte. Da hat er mit seinem Jagdgewehr auf Passanten geschossen. Das war doch mal was anderes.«
»Eine sehr scharfsinnige Analyse«, bemerkte Dr. Samuelson nicht ohne Anerkennung, »im Fachjargon nennen wir das eine Anomie, einen Zustand der Desorientierung und der Vereinsamung.«
»Deshalb aber noch keine Rechtfertigung für seine Handlungsweise. So was ist und bleibt unentschuldbar. Er war ein kluger Mann und wusste sehr wohl, dass es für sein Tun keine Rechtfertigung gab.«
»Mag sein, er konnte sich gegen den Drang nicht wehren, so etwas kommt vor«, warf Mrs. Ellerbee ein.
Delaney blieb unbekehrbar. »Das ist keine Entschuldigung. Jeder von uns spürt irgendwann im Leben mal so was wie Mordlust, aber wir beherrschen diesen Drang. Ohne Selbstbeherrschung kehren wir in den Dschungel zurück Die Zivilisation hängt an nichts anderem als an der Selbstdisziplin.«
Mrs. Ellerbee sagte mit der Andeutung eines Lächelns: »Nicht alle sind so stark wie Sie, Mr. Delaney «
»Stark? Ich? Ich bin ein wahrer Schnurrkater. Oder etwa nicht, Monica?«
»Ich verweigere die Aussage, weil ich mich andernfalls selber belasten könnte«, lautete die Antwort.
Mrs. Ellerbee lachte und begab sich in die Küche. Der Tisch wurde zum Abendessen gedeckt.
Das Boeuf bourguignon war in zwei gusseisernen holländischen Brätern angerichtet worden, die man nur mit Handschuhen anfassen konnte. Delaney und Boone trugen sie ins Speisezimmer und stellten sie auf einen passenden Ständer. Dr. Samuelson brachte den Salat und das noch heiße, in Scheiben geschnittene Weißbrot. Dazu gab es 78er kalifornischen Cabernet Sauvignon. Delaney betrachtete versunken das Etikett auf der Flasche. »Wie schön«, sagte er verträumt.
»Die letzten aus der Kiste«, sagte die Gastgeberin bekümmert. » Simon und ich hatten dafür eine große Schwäche. Wir hoben diesen Wein für besondere Anlässe auf. Würden Sie ihn bitte entkorken, Mr. Delaney?«
»Mit Vergnügen. Alle Flaschen?«
»Ja, alle«, sagte sie entschieden. »Wenn Sie den Wein erst mal probiert haben, werden Sie mich verstehen.«
An dem großen Tisch war reichlich Platz für alle; Mrs. Ellerbee verteilte das Fleisch, der Salat wurde in hölzernen Schüsselchen angerichtet.
»Es schmeckt himmlisch«, versicherte Monica, »und Sie werden mir nicht einreden können, dass dies ein gewöhnliches Stew ist.«
»Nun ja, es ist in Wahrheit zerkleinertes Steak. Wer noch etwas möchte, bediene sich bitte selber.«
Alle machten sich hingebungsvoll ans Essen, und doch kam dabei das Gespräch nicht zu kurz. Der Sergeant saß neben Delaneys Frau, seine Frau neben Dr. Samuelson, und Delaney zur Rechten von Mrs. Ellerbee.
Er beugte sich zu ihr und sagte: »Ich hoffe, die Unterhaltung vorhin, all das Gerede über Schuld und Sühne, hat Sie nicht irgendwie getroffen?«
»Ganz im Gegenteil, das Thema fasziniert mich. Es ist nützlich, so
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