Die vierte Todsuende
köstlichen Mahlzeiten in exklusiven Lokalen, keine Besuche in Symingtons toller Wohnung. Aber musste es wirklich so enden? Gab es nicht doch noch Möglichkeiten, diese Freuden auch weiterhin zu genießen? Symingtons Alibi wollte er bestätigen, das war er ihm schon schuldig, aber das brauchte nicht unbedingt das Aus zu bedeuten. Mit wiedererwachter Zuversicht machte Konigsbacher sich auf den Weg zum ›Dorian Gray‹. Was Vince ihm wohl diesmal mitgebracht hatte?
Keisman und Jason hielten Harold Gerber für total verrückt, aber nicht für den Mörder von Dr. Ellerbee. Keisman bezeichnete Gerbers Geständnis zutreffend als »vier Pfund Schiet in einer Zweipfundtüte «.
Der Vietnamveteran kannte die unveröffentlichten Begleitumstände der Mordtat nicht genug, um ein glaubhaftes Geständnis zu fabrizieren. Delaney indessen bestand darauf, dass Gerbers Unschuld positiv nachgewiesen werde, und um diesen Nachweis zu führen, machten die beiden Beamten sich auf den Weg.
Die katholische Bibel bot nur eine sehr dürftige Spur. Keiner von beiden sah mehr als einen nebulösen Hinweis darin, und wenn sie sich überhaupt damit befassten, dann einzig, weil sie außer der Bibel überhaupt keinen anderen Anhaltspunkt besaßen.
Im Branchenadressbuch von Manhattan fanden sie unter ›Kirchen römisch-katholisch‹ 103 Eintragungen, manche recht sonderbar, etwa ›Kirche vom köstlichen Blute‹ oder ›Zur Lieben Frau, unserer Hilfreichen Madonna‹ und so fort. 103 Kirchen aufzusuchen schien eine gewaltige Anstrengung zu fordern, doch als sie erst mal diejenigen im Umkreis von Greenwich Village herausgesucht hatten, sah die Sache schon anders aus.
Keisman nahm sich die östlich der 6. Avenue gelegenen vor, Jason die westlichen. Ausgerüstet mit ihrem Foto von Harold Gerber wandten sie sich an Priester, Küster, Hausmeister und überhaupt an jeden, der Gerber hätte gesehen haben können, falls er zur Tatzeit hier irgendwo seine Andacht verrichtet haben sollte.
Es war stumpfsinnigste Routine, Pflastertreten, Klingeln, Fotos herzeigen, die immer gleichen Fragen stellen: »Kennen Sie diesen Mann? Besucht er Ihre Kirche? Haben Sie schon mal den Namen Harold Gerber gehört?«
Manche Kirchen waren verschlossen, dann mussten die beiden Männer so oft zurückkommen, bis sie sie geöffnet fanden und jemandem ihre Fragen stellen konnten. Sie beschränkten sich gleichwohl auf einen Achtstundentag und trafen sich um 17 Uhr auf einige Gläser Bier mit Gerber. Sie sagten ihm nicht, womit sie sich beschäftigten, und er wiederholte klagend die immer gleiche Frage: »Wann nehmt ihr Kerle mich endlich fest?«
»Bald, Harold«, trösteten sie ihn. »Bald.«
Nach vier Tagen glaubten sie schon, sie würden niemals fündig werden. Dann hatte Keisman Glück. Er traf in einem mehr einer Kapelle ähnelnden Gebäude in der 11. Straße auf einen ältlichen kleinen Mann, der die Messingbeschläge und ähnliches zu polieren und darauf zu achten hatte, dass die elektrischen Kerzen brannten. Nachdem er Keismans Ausweis betrachtet hatte, richtete er seine Aufmerksamkeit auf das Foto von Gerber und fragte krächzend: »Weshalb wird der Mann gesucht?«
»Er wird nicht gesucht, nicht in dem Sinn, in dem Sie es meinen. Er ist als auszuschweißende gemeldet, und seine Eltern möchten wissen, wo er steckt. Das leuchtet Ihnen gewiss ein?« log Keisman geläufig.
»O ja, o ja«, versicherte der kleine Mann, ohne die Augen auch nur einmal von dem Foto zu wenden, »ich habe selber Söhne, ich kann es ihnen gut nachfühlen. Was macht dieser Junge denn?«
»Was heißt, was macht er?«
»Na, er wird doch einen Job haben.«
»Im Moment ist er, soweit wir wissen, erwerbsunfähig. Ein Veteran aus Vietnam, im Kopf etwas wirr.«
»Versteht sich, versteht sich. Vietnam sagten Sie?«
»Hm, ja.«
»Und katholisch ist er?« »Stimmt.«
Der Alte seufzte. »Da wenden Sie sich am besten an den Geistlichen. Also ein richtiger Priester ist er nicht, oder besser, er hat keine eigene Gemeinde. Aber Gottesdienst halten darf er.«
Keisman hörte geduldig zu.
»Dieser Geistliche«, der kleine fand an seiner langwierigen Erklärung mehr Gefallen als Keisman, »dieser Geistliche, Pater Gautier heißt er oder Grollier, der hat ein Heim für Vietnamveteranen aufgemacht. Da können sie rumsitzen, wenn es draußen kalt ist, bekommen etwas zu essen und manchmal auch ein Feldbett. Nicht, dass ich ihm was Schlechtes nachsagen will, er tut Gutes, aber es hat nicht die richtige
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