Die vierte Todsuende
mal anders — du hättest dich ja auch mit Jack the Ripper einlassen können.«
22
»Ich hoffe, Sie haben was Gutes für mich«, sagte Ivar Thorsen, »Ich könnte endlich mal was brauchen.«
Er lag mehr im Ledersessel in Delaneys Arbeitszimmer, als er saß, und hielt ein Whiskyglas in der Hand. Er starrte in die goldgelbe Flüssigkeit, als läge darin die Auflösung aller ihm aufgegebenen Rätsel.
Delaney saß auf seinem Drehstuhl und betrachtete Thorsen missbilligend. »Sie sehen ausgesprochen schlecht aus, Ivar.«
»So fühle ich mich auch. Der Tag war schlimm, doch schlimm sind in letzter Zeit eigentlich alle Tage. Aber es heißt ja: Wer die Hitze nicht verträgt, soll sich aus der Küche scheren.«
»Ganz recht, so heißt es. Und Sie fühlen sich wohl in der Küche.«
»Tja, so muss es wohl sein, sonst hätte ich es längst aufgesteckt. Wenn ich mit Ihnen hier fertig bin, muss ich ins ›Waldorf‹ zu einem Bankett für den ausscheidenden Staatsanwalt. Anschließend dann eine Besprechung mit dem Chef und zwei Mitarbeitern des Bürgermeisters. Endlich kriegen wir eine Finanzspritze, nur weiß noch niemand, was damit anfangen.«
»Das ist doch ganz einfach. Mehr Fußstreifen auf die Straße.«
»Schon, aber wo? Alle Reviere wollen mehr Personal.«
»Das drehen Sie schon.«
»Tja, das werde ich wohl. Aber um wieder auf meine Frage zu kommen, gibt es gute Neuigkeiten?«
»Hmm … es tut sich einiges, ob gut oder nicht, weiß ich nicht recht… Von den Patienten haben wir jetzt vier aus dem Rennen genommen, vier von sechsen. Teils dank guter Arbeit, teils hatten wir Glück. Die Alibis dieser Leute stehen. Jedenfalls halte ich sie für wasserdicht.«
»Bleiben also noch zwei Verdächtige?«
»Zwei mögliche Verdächtige, bitte. Einer ist Bellsey, ein übler Schläger, auf den ist Calazo angesetzt. Der will in ein paar Tagen abschließend berichten. Calazo ist ein alter, erfahrener Detektiv, dem ich unbedingt vertraue. Die andere mögliche Verdächtige ist Joan Yesell, und die ist eigentlich die interessantere. Leidet unter Depressionen, neigt zum Selbstmord. Die Mutter gibt ihr für die Tatzeit ein Alibi, aber Estrella und Venable haben herausbekommen, dass sie Alte schwindelt. Die war zur Tatzeit anderswo, kann ihrer Tochter also kein Alibi geben.«
»Nehmen Sie die beiden fest?«
»Mutter und Tochter? Nein, noch nicht. Ich lasse die Tochter jetzt von allen Hilfstruppen, ausgenommen Calazo, rund um die Uhr beschatten, und zugleich versuchen wir zu rekonstruieren, was sie am Tag des Mordes gemacht hat.«
»Weshalb soll die Mutter gelogen haben?«
»Nun, um die Tochter zu schützen. Sie muss also was wissen. Das muss allerdings nicht zwangsläufig mit Doktor Ellerbee zu tun haben. Die Kleine könnte bei einem Freund auf der Bude gewesen sein, und die Mutter will ihren guten Ruf schützen — oder auch den des betreffenden Mannes.«
Thorsen nahm einen kräftigen Schluck und musterte Delaney scharf. »Schön, das könnte sein. Aber Sie machen mir ganz den Eindruck, als wüssten Sie die Lösung schon. Sie haben dann so einen gewissen Ausdruck um die Nase, so was wie unterdrückte Erregung in der Miene. Sie glauben wirklich, dass diese Yesell die Fingerchen im Kuchenteig hat, nicht wahr?«
»Ich will Ihnen keine Hoffnung machen, doch Sie haben recht, irgend was stimmt da nicht. Ich habe den ganzen Nachmittag damit verbracht, mir in den Akten alles anzusehen, was mit der Yesell zu tun hat. Geht man mal davon aus, dass sie die Mörderin ist, lesen sich manche Stellen in den Protokollen, die auf den ersten Blick harmlos scheinen, schon sehr anders. So könnte man den Selbstmordversuch, den sie nach unserer ersten Befragung unternahm, durchaus als Schuldgeständnis interpretieren.«
»Aber das Motiv?«
»In Fällen wie diesen, wo wir es mit gestörten Leuten zu tun haben, muss man die Frage nach dem Motiv anders bewerten. Mag sein, Ellerbee ist in ihrer Vergangenheit auf etwas gestoßen, das so schmerzlich für sie war, dass sie es nicht ertragen konnte, einen Mitwisser zu haben — also Ellerbee. Und hat ihn deshalb umgebracht.«
»Möglich wäre es wohl. Das heißt, früher oder später müssen Sie sich die Kleine vornehmen.«
»Unbedingt. Und die Mutter ebenfalls. Zuvor aber muss ich meine Schularbeiten machen, muss genau wissen, was sie wie, wo, wann getan hat am Mordtag. Vielleicht war sie wirklich bei einem Freund. Das muss ich vorher wissen.«
»Und unterdessen läuft unsere Uhr ab, Edward. Noch
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