Die vierte Todsuende
einen Dealer in den East River geworfen und ihn jede Menge Dreck schlucken lassen, bevor er ihn herauszog. Er wusste sehr wohl, dass er von einigen jungen Kollegen seiner weißen Haare und seines bärenhaften Ganges wegen amüsiert und etwas abschätzig betrachtet wurde, doch das war soweit okay - er selbst hatte in ihrem Alter nicht anders von älteren Kollegen gedacht. Bis er dahinterkam, dass man von ihnen eine Menge lernen konnte.
Calazo war also, was man einen guten Polizisten nennt, und obwohl er in all den Jahren ziemlich viel Übles gesehen hatte, nicht nur auf seinen Streifengängen, sondern auch innerhalb der Behörde, war er in seinem anfänglichen Eifer und seiner Begeisterung eigentlich nie erlahmt; er hielt seine Arbeit immer noch für notwendig und wichtig. Ähnlich wichtig etwa wie die Arbeit der Müllabfuhr, ohne die die Bürger der Stadt in einem Meer von Abfällen ersticken müssten.
Im allgemeinen hielt er sich gewissenhaft an die Vorschriften, doch wie alle erfahrenen Polizisten wusste er, dass man das nicht immer konnte. Die Bösewichter hielten sich ebenfalls an keine Regeln, und wenn man sich in gewissen Fällen nicht seine eigenen Regeln machte, hatte man das Nachsehen.
Ronald Bellsey war einer von den Bösewichtern, auf die das zutraf. Calazo war überzeugt, dass Bellsey die unaufgeklärten Körperverletzungen in der Nähe seiner Kneipen begangen und auch den Kollegen Hogan niedergeschlagen und schwer verletzt hatte. Und ebenso wusste Calazo, dass es keine Möglichkeit gab, Bellsey diese Verbrechen nachzuweisen.
Er musste also wählen: entweder blieben diese Übeltaten ungerächt, oder Calazo musste sich selbst zum Ankläger und zum Richter ernennen und auch noch die Strafe vollstrecken.
Dass Bellsey sich in psychiatrische Behandlung begeben hatte, um sich von seiner Neigung zu Gewalttätigkeiten kurieren zu lassen, beeindruckte Calazo nicht die Spur, und er bereitete die Vernichtung dieses Mannes ohne die geringsten Gewissensbisse vor. Calazo empfand vor Bellsey auch keine Angst; wäre dies der Fall gewesen, er hätte seine ganze Laufbahn im Nachhinein als komplette Pleite empfinden müssen.
Als das Polizeipräsidium Vorjahren noch in dem alten Gebäude in der Centre Street untergebracht gewesen war, hatten sich in der Nähe Kleinunternehmer angesiedelt, die herstellten und verkauften, was Polizisten im Außendienst benötigten; da gab es Büchsenmacher, Schneider, Lederwerkstätten, die Revolverhalfter herstellten, welche nicht scheuerten, auch ausgefallene Sachen wie Unterschenkelhalfter, Messerscheiden, Schlagringe und ähnliches. Bei einem solchen Hersteller, der sich auf Totschläger jeder Größe und jeden Gewichts verlegt hatte, hatte Calazo vor 18 Jahren ein Prachtexemplar erworben, 35 cm lang, aus weichem Rindleder, gefüllt mit Schrotkugeln, doppelt vernäht, mit einer Schleife fürs Handgelenk. Der hatte ihn nie im Stich gelassen, und Calazo gebrauchte ihn nicht selten.
Vor seiner Begegnung mit Ronald Bellsey verstaute er also diesen Totschläger als erstes in einer Segeltuchtasche, ferner Handschellen und zwei Rollen Klebeband. Seinen Dienstrevolver trug er an der Hüfte, weiter brauchte er nichts.
Bellsey besuchte Betty Lee regelmäßig donnerstags um 15 Uhr. Calazo erschien eine Viertelstunde früher in ihrer Absteige, rief von unten aus bei ihr an, um sicherzugehen, dass oben alles okay war, und begab sich hinauf.
»Du weißt, was du zu tun hast?« Er legte Hut und Mantel ab. »Wenn er klopft, lässt du ihn rein, alles andere ist meine Sache. Du verdrückst dich bei erster Gelegenheit und bleibst mindestens eine Stunde weg. Lieber zwei. Dann ist er ganz gewiss verschwunden.«
»Du glaubst also, es funktioniert?« fragte sie nervös.
»Wie Seide«, versicherte er. »Keine Sorge, du bleibst draußen.«
Bellsey verspätete sich etwas, doch beunruhigte das Calazo nicht. Als es klopfte, nickte er Betty zu und stellte sich so auf, dass die Tür, wenn sie geöffnet wurde, ihn verdeckte.
»Wer ist da?«
»Ronald.«
Sie öffnete, und er trat ein, zum Glück ohne Hut. Calazo machte einen Schritt vorwärts und traf Bellsey mit dem Totschläger hinter dem linken Ohr. Ein wohlberechneter, oft geübter Schlag, unter dem die Haut nicht platzte, der aber hinreichte, Bellsey zu Boden zu strecken.
»Besten Dank, Betty, und jetzt raus mit dir.«
Sie riss ihren Mantel vom Haken und trollte sich. Calazo Schloss hinter ihr ab, tastete Bellsey nach Waffen ab, fand aber nichts. Das
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