Die vierte Todsuende
hatte, achtete auf jedes Wort. Dann schob er das Blatt von sich, lehnte sich zurück und setzte eine Zigarre in Brand.
Mehr als diese halb bestätigten oder unbestätigten Alibis interessierte ihn, was Dr. Ellerbee in den letzten drei Stunden seines Lebens wohl getan haben mochte.
War der geheimnisvolle Patient gekommen und länger geblieben als vorausgesehen? Das war nicht sehr wahrscheinlich; die Sitzungen dauerten in der Regel 45 Minuten. Arbeitete Ellerbee an seinen Krankengeschichten, während er auf den Patienten wartete? Oder hatte er gelesen? Musik gehört? Ferngesehen?
Delaney schaute auf die Uhr und spürte Appetit auf ein Sandwich. Essen! Wann aß dieser Mensch eigentlich? Seiner Frau hatte er gesagt, er werde voraussichtlich gegen 21 Uhr wegfahren. Selbst wenn er in Brewster gegen 22 Uhr 30 noch auf einen späten Imbiss rechnen konnte, musste er bis dahin doch irgendwas zu sich nehmen! Delaney jedenfalls wäre unterdessen Hungers gestorben.
Er suchte den Obduktionsbefund in den Akten und blätterte darin, bis er fand, was er suchte. Die Bestimmung des Mageninhaltes hatte ergeben, dass Ellerbee etwa eine Stunde vor seinem Ableben noch gegessen hatte, und zwar gekochten Schinken, Schweizer Käse, Roggenbrot und Senf. Offenbar teilte Ellerbee den Geschmack von Delaney.
Einen Teil dieser drei Stunden hatte er also mit dem Verzehr eines Sandwiches verbracht. Hatte er das selber geholt? Bei dem sintflutartigen Regen? Eigentlich unwahrscheinlich. Vermutlich hatte er sich in der Küche im ersten Stock etwas zurechtgemacht. Aber auch das füllte die drei Stunden nicht aus. Diese Lücke in Ellerbees Zeitplan ließ Delaney keine Ruhe, sie störte seinen Wunsch nach Klarheit. Gewiss hatte Ellerbee die Zeit nicht einfach vertrödelt. Es gab einfach noch zu viele unbeantwortete Fragen:
1. Warum hatte Ellerbee seiner Frau nicht namentlich den Patienten oder die Patientin genannt?
2. Warum hatte er dessen oder deren Namen der Praxishelferin nicht genannt?
3. Erwartete er den Besuch um 19 Uhr, hätte er im Grunde um 20 Uhr nach Brewster aufbrechen können. Seiner Frau hatte er jedoch gesagt, er wolle um 21 Uhr abfahren. Daraus folgte eigentlich, dass der Patient von ihm um 20 Uhr erwartet wurde. Falls das aber richtig war, wie kam es dann, dass der Doktor laut Obduktionsbefund eine Stunde vor seinem Tode etwas gegessen hatte? Man konnte sich nicht gut vorstellen, dass er einem Patienten, der dringend um einen Termin gebeten hatte, ein Sandwich essend gegenübersaß?
4. Angenommen, der Patient war wirklich für 20 Uhr bestellt, wie hatte Ellerbee dann die zwei Stunden davor verbracht?
5. Die beiden Sorten Fußabdrücke - hatte Ellerbee etwa zwei Patienten empfangen?
Delaney gestand sich ein, dass er all diese Fragen wahrscheinlich viel zu wichtig nahm. Und doch nagte das an ihm, und er fasste den spontanen Entschluss, dieses Rätsel höchstselbst und allein anzugehen. Schließlich brauchte er nicht den ganzen Tag hier herumzusitzen und darauf zu warten, dass irgendwer von seinen Helfern anrief. Lieber schon wollte er sich in Bewegung setzen und sein eigener Spürhund sein.
Zu diesem Zweck suchte er Namen und Adresse von Ellerbees Praxishilfe heraus. Carol Judd, in der 73. Straße. Boones Vermerk über ihr Alibi zur Tatzeit war angeheftet. Angeblich lag sie bei ihrem Freund im Bett. Der bestätigte dies.
Delaney fand ihre Nummer im Telefonbuch und drückte sich selber den Daumen. Siebenmal ließ er es klingeln und wollte schon auflegen, als sie abhob.
»Ja, bitte?« Ganz außer Atem.
»Miss Carol Judd?«
»Ja. Wer spricht denn da?«
Er bemühte sich, das folgende langsam und deutlich in die Muschel zu sprechen.
»Mein Name ist Edward X Delaney und ich bin ziviler Berater der Kriminalpolizei von New York. Ich bin mit Ermittlungen im Mordfall Ellerbee betraut und wüsste gern…«
»He, Sie, Moment mal, lassen Sie mich erst mal die Tüten abstellen. Ich war nämlich gerade einkaufen.«
Er wartete geduldig, bis sie wieder an den Apparat kam.
»Also, noch mal, wer sind Sie?«
Er wiederholte. »Ich würde gern einmal mit Ihnen sprechen. Es wird nicht lange dauern. Es sind da einige Fragen aufgetaucht, die außer Ihnen niemand beantworten kann.«
»Na, ich weiß nicht recht…, seit mein Name in den Zeitungen war, rufen mich die komischsten Leute an, richtige Spinner und… na, Sie wissen schon…«
»Kann ich mir denken, Miss Judd. Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Rufen Sie Mrs. Ellerbee an, sagen Sie,
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