Die vierte Todsuende
haben den Terminkalender geführt, Rechnungen geschrieben und solche Sachen?«
»Stimmt genau. Und meinen Lunch durfte ich mir in der Küche zubereiten. Im Sommer haben sie mich und meine Kollegin Edith Crawley — die ist bei seiner Frau angestellt — sogar immer über ein Wochenende nach Brewster eingeladen. Mann, das ist vielleicht ein Paradies da! Und den August über hatte ich selbstverständlich Urlaub.«
»Sie konnten Doktor Ellerbee also gut leiden?«
»Ein ganz wunderbarer Mensch war das. Ein Arbeitgeber, wie man ihn sich nur wünschen kann. Offen gestanden hatte ich ein Auge auf ihn geworfen, aber mir war klar, dass das zu nichts führen würde. Sie kennen ja seine Frau. Mit der kann so leicht keine konkurrieren.«
Sie lachte belustigt und wiegte sich, die Knie umklammernd, auf dem Fußboden.
»Wie war Ihre Arbeitszeit?«
»Von neun bis fünf. Meistens jedenfalls. Manchmal, wenn er es mit besonders schwierigen Patientinnen zu tun hatte, bat er mich auch schon mal, etwas früher zu kommen oder länger zu bleiben. Sie wissen ja, diese hysterischen Frauenzimmer kommen gelegentlich auf die Idee zu behaupten, sie wären vergewaltigt oder mindestens unsittlich belästigt worden.«
»Ist das tatsächlich vorgekommen - ich meine, dass Patientinnen so was behauptet haben?«
»Meinem Doktor ist das zum Glück nie passiert, aber einem befreundeten Kollegen, und deshalb hat er sich besonders in acht genommen.«
»Um auf den Freitag zu kommen, an dem er ermordet wurde …, ist an diesem Tag irgendetwas Ungewöhnliches passiert?«
Sie überlegte, sagte dann aber entschieden: »Nein, es war ein ganz gewöhnlicher Tag, bis auf das scheußliche Wetter. Den ganzen Tag über goss es in Strömen. Aber in der Praxis ist nichts Außergewöhnliches vorgefallen.«
»Wann sind Sie gegangen?«
»Kurz nach fünf. Gleich nachdem Mrs. Brizio kam.«
»Ah…, Mrs. Lola Brizio…, die stand als letzte für diesen Tag im Terminkalender.«
»Stimmt. Die kam immer freitags von fünf bis sechs.«
»Erzählen Sie mir was von ihr.«
»Von Mrs. Brizio? Nun, die dürfte mindestens sechzig sein. Und sehr, sehr reich. Einen Chincillamantel hat die -also der reinste Traum. Von dem, was der gekostet hat, könnte ich fünf Jahre leben. Dabei aber richtig nett. Ich meine, überhaupt nicht hochnäsig oder so. Sie erzählte meist das Neueste von ihren Enkeln.«
»Weshalb war sie denn in Behandlung?«
»Sie werden's nicht glauben, aber wegen Kleptomanie. Bei all ihrem Geld. Sie ging in die teuersten Geschäfte und stopfte sich da alles Mögliche in die Taschen, was sie überhaupt nicht brauchte — Schals und Modeschmuck und lauter so Zeug, und das schon seit Jahren. Man kannte sie da und hielt ein Auge auf sie. Weil sie eine gute Kundin war -sie kaufte schließlich auch ein —, hat man ihr nie was getan, sondern sie machen lassen, was sie wollte, und alles, was sie klaute, stillschweigend auf die Rechnung gesetzt. Und sie zahlte immer anstandslos. Zu unserm Doktor kam sie vor etwa drei Jahren.« Carol Judd musste plötzlich laut lachen. »Bei ihrer ersten Sitzung mit Doktor Ellerbee ließ sie einen Aschenbecher aus Kristall mitgehen. Von seinem Schreibtisch. Und er hat es erst gemerkt, als sie schon weg war. Können Sie sich so was vorstellen?«
»Und sechzig Jahre alt?«
» So ungefähr. Älter vielleicht.«
»Eine große, dicke Person?«
»I wo, keine Spur. Klein und zierlich. Dick allerdings. Rundlich sagen wir mal.«
Delaney strich im Geist Mrs. Brizio von der Liste der Verdächtigen.
»Sie gingen also gleich, nachdem die Dame gekommen war.«
»Stimmt.«
»Und Dr. Ellerbee hat Ihnen gesagt, dass er später noch einen Patienten erwarten würde?«
»Nein, hat er nicht.«
»War das nicht ungewöhnlich?«
»Nicht im mindesten. So was passierte häufig. Manchmal rief noch am Nachmittag jemand an, der unbedingt einen Termin haben wollte, und dann legte er mir einen Zettel auf den Tisch, ich sollte dafür eine Rechnung schreiben.«
»Hat seine Frau jemals auch noch spät Patienten?«
»Klar, beide haben spät noch gearbeitet.«
»Es scheint so, als ob Doktor Ellerbee seiner Frau gesagt hat, es käme noch jemand zu ihm, nachdem Mrs. Brizio gegangen war. Aber er hat nicht gesagt, wer und wann. Überrascht Sie das?«
»Eigentlich nicht. Das kam, wie gesagt, dauernd vor. Sie sagten dann einer dem anderen Bescheid, vor allem, wenn sie abends noch etwas vorhatten. Theater oder so, aber dabei wurden, soweit ich mich erinnere, die
Weitere Kostenlose Bücher