Die vierte Todsuende
dieser ein ruhiger, friedlicher Junge sei, gelegentlich aber unter Wutanfällen litt, während derer er auch gewalttätig werden konnte. Er hatte mehrfach Personal angegriffen, und einmal musste man ihm eine Beruhigungsspritze geben.
Abends wiederholte Calazo sein Beschattungsmanöver mit dem gleichen Resultat.
Am Freitag war er zeitiger auf dem Posten, ganz in Erwartung der Dinge, die jetzt kommen sollten. Kane ging früher weg als gewöhnlich, wenn auch nur um wenige Minuten. Calazo sah zu seiner Verblüffung, dass er sich feingemacht hatte, eine Tweedmütze trug, einen sauberen Parka und Jeans. Unter dem Arm hielt er ein Paket. Calazo vermutete, es könnte sich um eines seiner Bilder handeln, in braunes Packpapier eingeschlagen. Calazo ging ihm auf dem Broadway bis zur 83. Straße nach, von dort links Richtung Fluss über die West End Avenue. Dann betrat Kane in der Mitte des Blocks ein Mietshaus.
Der Detektiv verlangsamte den Schritt, schlenderte am Haus vorüber und merkte sich die Nummer. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite nahm er dann, eine Zigarre rauchend und fest aufstampfend, seine Wache auf. Er fragte sich, wie viele Meilen er wohl auf diese Weise in seinen Dienstjahren hinter sich gebracht haben mochte. Nun ja, vier Wochen noch, dann war das alles vorbei.
Gegen 22 Uhr 15 verließ Kane das Haus ohne Paket. Calazo folgte ihm zurück zur 78. Straße, sah ihn in den Keller gehen und machte sich unverzüglich auf den Heimweg.
Am folgenden Morgen parkte er schon um 8 Uhr gegenüber dem Haus auf der 83. Straße. Er ging davon aus, dass um diese Stunde am Samstag praktisch alle Welt daheim sein würde, betrat das Haus und betrachtete dann die Namensschilder. Im Haus gab es zwölf Wohnungen.
Er begann ganz oben, drückte alle Klingelknöpfe und sprach seinen Vers in jede Sprechanlage, sobald das Knacken ertönte, meist zusammen mit der unwirschen Frage: »Was wollen Sie?«
»Ich möchte mit Mr. Isaac Kane sprechen.«
Und dann hieß es: »Mit wem?«, »Nie gehört«, »Verpiss dich!«, »Da sind Sie hier falsch.«
Endlich, aus der Wohnung 4 B, fragte eine Frauenstimme besorgt: »Ist ihm etwas passiert?« Bingo! Auf dem Namensschild stand Judson Beele und Evelyn Packard.
Calazo sprach langsam und deutlich in das Türmikrofon: »Ich komme von der Kriminalpolizei und habe dringend mit Ihnen wegen Isaac Kane zu reden. Machen Sie bitte auf.«
Er musste ziemlich lange auf eine Reaktion warten, aber darauf verstand er sich gut. Als der Summer schließlich das Türschloss freigab, erklomm er die Treppe bis zum dritten Stock und sah vor der Tür zur Wohnung 4 B einen Mann in Bademantel und Pantoffeln stehen. Er trug randlose Augengläser, hatte sehr schütteres Haar und auf der Oberlippe die Andeutung eines Schnurrbartes. Er wirkte, als würde eine kräftige Böe ihn ohne weiteres umpusten können. Calazo zeigte seinen Dienstausweis, den der Mann gründlich betrachtete.
»Mein Name ist Beele«, sagte er dann, »worum handelt es sich bitte?«
»Darf ich für einen Moment hereinkommen? Es wird nicht lange dauern.«
In dem gut geheizten, behaglichen Wohnzimmer waren noch zwei Frauen, beide in Morgenrock und Hausschuhen. Die eine, eine hagere Blondine, rauchte eine Zigarette aus einer langen Spitze und stand; die jüngere, mit weicheren Gesichtszügen, saß in einem Rollstuhl, die Knie in eine Mohairdecke gewickelt, so dass ihre Beine nicht sichtbar waren.
Beele stellte sie vor. Die Blondine war seine Frau Teresa, die junge Dame im Rollstuhl die Schwester seiner Frau, Evelyn Packard. Calazo deutete höflich eine Verbeugung an; wie fast alle erfahrenen Polizeibeamten wusste er genau, wann er das Rauhbein zu spielen hatte und wann den Liebenswürdigen. Letzteres dürfte in diesem Haushalt wohl angebracht sein, überlegte er. Die Blondine sah allerdings aus wie eine harte Nuss.
»Es tut mir leid, dass ich Sie so früh störe«, entschuldigte er sich glattzüngig, »doch die Angelegenheit ist wichtig, und sie betrifft Mr. Kane.«
»Ist ihm etwa was zugestoßen?« fragte die junge Frau im Rollstuhl aufgeregt. »Er hat doch hoffentlich keinen Unfall gehabt?«
»Nein, nein, nichts dergleichen. Meines Wissens geht es ihm ausgezeichnet. Darf ich mich setzen?«
»Selbstverständlich«, sagte die Blondine, »wir sind gerade beim Frühstück, geben Sie mir Ihren Mantel und trinken Sie eine Tasse Kaffee mit uns.«
»Gern. Schwarz bitte.«
»Gieß mal Kaffee ein, Judson«, befahl die Blondine. Calazo machte eine
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