Die vierte Todsuende
gebracht. Seiner Meinung nach ist Kane sauber.«
»Und halten Sie seine Bewertung für zutreffend, Sergeant?«
»Absolut zutreffend. Wenn Calazo den Jungen für sauber hält, dann ist er das auch. Calazo macht in solchen Sachen keine Fehler, dafür ist er zu erfahren. Da fällt mir ein… Hogan ist bestimmt nicht so bald dienstfähig, Sir. Könnten wir Calazo nicht auf Bellsey ansetzen? Wenn ihn jemand überführen kann, dann Calazo.«
»In Ordnung. Das ist ein guter Einfall. Machen Sie ihn vertraut mit unserem Material über Bellsey und warnen Sie ihn. Er soll diesem Lumpen ja nicht den Rücken zukehren. Jason, Sie arbeiten nach wie vor mit Keisman an Gerber?«
»Ja, Sir. Aber es gibt nichts Neues.«
»Nur nicht nachlassen, Jason. Hier, ein Törtchen ist noch übrig. Wer will das?«
»Ich, wenn Sie erlauben«, sagte Jason prompt, »an denen kann ich mich nicht satt essen.«
Delaney war zu aufgedreht, um wieder ins Bett zu gehen, nachdem die beiden weg waren. Er blieb in der Küche sitzen, schlürfte lauwarmen Kaffee, ging in Gedanken durch, was er da gehört hatte, und kam zu dem Schluss, dass er kein Mitgefühl für Hogan aufbringen konnte. Für Dummheiten musste man in dieser Welt bezahlen. Das war nun mal so.
Er spülte Tassen und Teller, stellte alles zum Trocknen hin, verzog sich mit Calazos Bericht in sein Arbeitszimmer und setzte die Lesebrille auf. Er las langsam und mit Genuss, denn Calazo vermied das Behördenchinesisch und drückte sich anschaulich aus.
Delaney setzte eine Zigarre in Brand, legte den Bericht zur Seite und grübelte - nicht über die Richtigkeit von Calazos Bericht, sondern darüber, wie die Fakten ins Bild passten. Calazo hatte sich den Rücken freigehalten, indem er anmerkte, selbstverständlich könne er irren, doch halte er Isaac Kane nicht für den Täter im Mordfall Ellerbee. Was darauf hinauslief, dass alles eine Frage der Bewertung war. Das entsprach ganz und gar der Auffassung von Delaney. Bei der Aufklärung von Verbrechen spielte die Bewertung der Fakten eine große Rolle, sie wurde früher oder später förmlich zu einer Glaubensfrage. Was wiederum bedeutete, dass irgendwann jeder Kriminalist von Zweifeln und Ängsten geplagt wurde. Wer die nicht aushalten konnte, der sollte sich lieber nach einem anderen Beruf umsehen. Dies dachte Delaney wahrlich nicht zum ersten Mal.
18
Unter Zweifeln und Ängsten litt derzeit am meisten die Kriminalbeamtin Venable. Sie bezweifelte, dass es ihr ohne die Hilfe ihrer »erfahrenen Kollegen« gelänge herauszubekommen, ob das Alibi von Joan Yesell hieb- und stichfest war oder nicht.
Ängstlich war sie bei dem Gedanken, in ihrem Bericht nicht erwähnt zu haben, dass Joans Mutter möglicherweise zur Tatzeit nicht daheim gewesen war. Ängstlich auch, weil sie sich sagte, sie müsse womöglich Schritte zwecks Beantwortung dieser Frage unternehmen, die sie bislang versäumt hatte. Und dass noch eine ganze Woche verstreichen musste, bevor sie imstande war festzustellen, was es mit dieser albernen Bridgerunde auf sich hatte.
Kam hinzu, dass sie sich einfach nicht mehr vorstellen konnte, Joan könnte mit dem Mord zu tun haben. Diese sanfte, ungemein friedfertige, schüchterne Person, die so sichtlich unter dem rücksichtslosen, lärmenden Getriebe von Manhattan litt, war ganz gewiss unfähig, einem von ihr aufrichtig bewunderten Mann den Schädel mit einem Hammer einzuschlagen. Jedenfalls kam Venable das so vor.
Der Schmutz und die Hässlichkeit ihrer Umgebung machten Joan geradezu krank. Gewalttätigkeit in jeder erdenklichen Form deprimierte sie zutiefst. Grausamkeit gegenüber Tieren war ihr unerträglich, beim Anblick eines toten Spatzen kamen ihr die Tränen. Bediente Venable sich der ordinären Ausdrucksweise, die unter den Kollegen üblich war, erduldete sie das zwar, aber sie litt darunter.
»Kindchen, du bist für diese Welt zu gut«, sagte Venable. »Engel gehen als letzte durchs Ziel.«
»Für einen Engel halte ich mich nicht, nicht annähernd. Ich tue törichte Dinge, ganz wie alle anderen. Manchmal bin ich auf Mama so wütend, dass ich schreien könnte. Du hältst mich für seelengut, aber das bin ich nicht.«
»Mit mir verglichen bist du eine Heilige.«
Im Laufe der Woche brachte Venable das Gespräch häufig auf Dr. Ellerbee, und es schien, dass Joan nicht nur bereitwillig darauf einging, sondern sogar sehr gern von ihm sprach.
»Er hat mir wirklich viel bedeutet. Außer ihm kenne ich keinen Therapeuten, und ich wusste
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