Die vierte Todsuende
von Anfang an, dass er mir helfen würde. Dass ich ihm unbedenklich alles anvertrauen konnte. Und er hörte mich immer aufmerksam an, in seiner stillen, freundlichen Art. Ich habe ihm nie was verschwiegen. Ich glaube, er ist der erste Mann oder Mensch überhaupt, dem ich vorbehaltlos vertraute. Ich habe mich ihm nahe gefühlt, gefühlt, dass auch ihn schmerzte, was mich verletzte. Wahrscheinlich verhalten sich alle Therapeuten so zu ihren Patienten, aber ich hatte doch die Überzeugung, er und ich, wir wären was Besonderes.«
»Das ist ja allerhand.«
»Ja. Ist es auch. Ich vertraue dir jetzt was an, was du unbedingt für dich behalten musst. Manchmal habe ich mir vorgestellt, seine Frau wäre tot, gestorben, schmerzlos und überraschend selbstverständlich, und dass er mich dann heiraten würde. Ich malte mir aus, wie es wäre, Tag und Nacht mit ihm zusammen zusein, für den Rest meines Lebens.«
»Verliebt warst du in ihn!«
»Ja, das war ich wohl«, gestand Joan bekümmert. »Und seine anderen Patientinnen sicher auch…«
Dann wieder kam Joan selber auf den Mord zu sprechen. »Kommt die Polizei eigentlich von der Stelle mit der Suche nach seinem Mörder?«
»Nur langsam«, gab Venable zu. »Bislang haben wir, glaube ich, keine heiße Spur, aber es sind eine Menge Leute auf der Suche. Wir fassen den Täter schon noch, keine Sorge.«
»Das hoffe ich von ganzem Herzen. Es war doch ein ganz abscheuliches Verbrechen.«
Auch die gemeinsame Wohnung verloren sie nicht aus den Augen. Sie redeten über ihre Mütter, über Kleider, über Gerichte, die sie mochten oder verabscheuten. Sie tauschten Erinnerungen an ihre Jungmädchenzeit, kicherten, wenn sie sich an Jungen erinnerten, verglichen ihre Meinungen über Fernsehstars und Schriftsteller. Diese Vertrautheit zwischen Kriminalisten und Verdächtigen ist nicht gar so ungewöhnlich, denn brauchen sie nicht einer den anderen? Sogar für einen Mörder ist es eine Genugtuung, dass sein Jäger besessen ist von dem Gedanken, seine Beute aufspüren zu wollen.
»Am Freitagabend muss ich meinen Papierkram erledigen, Kindchen«, beschied Venable ihren Schützling. »Samstag rufe ich dich an, und wir verabreden was, ja?«
»Fein. Ich freue mich immer, wenn du vorbeikommst oder mich anrufst.«
»Tu ich doch gerne.« Und dies war die reine Wahrheit, die gerade darum Venable zu schaffen machte.
Am Freitag gegen 19 Uhr saß sie unweit von Yesells Wohnung in ihrem Honda. Den Hauseingang hatte sie im Rückspiegel und das Radio auf eine Welle eingestellt, auf der Rockmusik gesendet wurde. So verging eine gute Stunde, während derer sie die Blicke nicht vom Hauseingang wandte, und es war fast Viertel nach acht, bevor Mrs. Yesell herauskam, in einen Pelz gewickelt, der aussah wie ein Bärenfell. Ein Irrtum war ausgeschlossen; sie war es, samt Hochfrisur, die sie noch bedrohlicher aussehen ließ als üblich.
Venable stieg aus und folgte ihr in einigem Abstand. Schon nach kurzer Zeit verschwand Mrs. Yesell in einem der Häuser, und Venable kam zu spät, um zu sehen, auf welchen Klingelknopf sie gedrückt hatte.
Sie stand auf dem Bürgersteig, total ratlos. Calazo würde in einem solchen Fall auf sämtliche Klingelknöpfe gedrückt und nach Mrs. Yesell gefragt haben, und keine Stunde später hätte er die Aussagen der anderen Damen dieser Bridgerunde bezüglich des Aufenthaltes von Blanche Yesell zur Zeit des Mordes an Dr. Ellerbee zu Papier gebracht. Helen Venable zog ein derartiges Vorgehen jedoch gar nicht in Betracht. Sie überlegte vielmehr, wie sie eine Befragung dieser Damen vornehmen könnte, ohne dass Joan und ihre Mutter erfuhren, dass Joans Alibi überprüft wurde.
Wieder im Wagen, saß sie ein Weilchen da und ärgerte sich darüber, dass ihr nichts Gescheites einfallen wollte. Endlich kam sie zu dem Entschluss, einen Bericht zu schreiben, der auch das freitagabendliche Bridgespiel von Mrs. Yesell erwähnte, und alles weitere Boone zu überlassen. Sie gestand sich ein, dass dies ein persönliches Versagen bedeutete, und das machte sie wütend. Doch die Angst, himmelschreiend zu patzen und dafür in den uniformierten Streifendienst zurückversetzt zu werden, gewann die Oberhand. Und es sollte sich erweisen, dass diese Entscheidung gut für sie war.
Während Helen Venable unter Ängsten und Zweifeln litt, wurde Konigsbacher das Opfer seines übertriebenen Selbstvertrauens. Er war überzeugt davon, den dicken Fisch schon an der Angel zu haben, nämlich Vincent
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