Die vierte Zeugin
Titel:
Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Tanja u.a. Kinkel
,
Oliver Pötzsch
,
Martina André
,
Peter Prange
,
Titus Müller
,
Heike Koschyk
,
Lena Falkenhagen
,
Alf Leue
,
Caren Benedikt
,
Ulf Schiewe
,
Marlene Klaus
,
Katrin Burseg
Präzedenzfall schaffen! Versteht Ihr denn nicht, von Küffen? Einen Präzedenzfall!«
»Ich verstehe nur, dass Ihr als unabhängiger Richter Geld genommen habt«, erwiderte Augustin kühl. Unwillkürlich krampfte sich seine Faust um den silbernen Knauf des Gehstocks. Er musste an die Justitia über dem Eingangsportal denken.
Es hat sich nichts geändert,
ging es ihm durch den Kopf.
Die Schale der Gerechtigkeit neigt sich immer zugunsten derer, die sie mit klingenden Münzen füllen,
hatte Sophie gesagt. Und sie hatte Recht damit.
»Wer hat Euch damals bezahlt?«, fragte Augustin schließlich.
Der Richter seufzte und tastete erneut nach dem Weinglas. »Könnt Ihr Euch das nicht denken? Tausende von Florin gingen dem Staat jedes Jahr verloren, weil verschuldete Männer nicht belangt werden konnten. Die Krone wollte auch zu ihrem Recht kommen.«
»Die … Krone?« Augustin spürte, wie ihn plötzlich trotz seines warmen Mantels und des Wamses darunter fröstelte. »Wollt Ihr etwa sagen, der Kaiser selbst …«
»Wart Ihr bereits im Gerichtsarchiv?«, unterbrach ihn Hauser.
Augustin stutzte. »Natürlich. Sogar mehrmals. Ihr wisst ebenso gut wie ich, dass die damaligen Akten nichts über eine Beteiligung der Krone aussagen. Was also soll die Frage?«
Richter Hauser nahm einen weiteren Schluck Rotwein, winzige Perlen rannen durch die Furchen seines unrasierten Kinns. »Vielleicht habt Ihr nur nicht an der richtigen Stelle nachgesehen«, bemerkte er süffisant. »Eigentlich sollte Euch bekannt sein, dass es neben den Dokumenten der Verhandlung auch Notizen gibt, die die Korrespondenz zwischen den Gerichten und weltlichen Würdenträgern belegen.«
Augustin von Küffen schloss die Augen und fluchte leise. Der Briefverkehr! Bestimmt ein Dutzend Mal war er in den letzten Wochen im Archiv gewesen, aber kein einziges Mal hatte er auf den damaligen Briefverkehr des Gerichts geachtet. Wie hatte er nur so vernagelt sein können! Er musste unbedingt …
Ein leises Geräusch riss ihn aus seinen Gedanken. Es war Hieronymus Hauser, der mit dem Finger geschnippt hatte. Hinter einem der schweren Vorhänge tauchte ein in Samt gekleideter Diener mit einer Flöte auf.
»Versteht bitte, dass ich Euch nicht mehr sagen kann. Es geht um den Ruf meiner Familie«, erklärte der Richter und gab dem Diener mit einem Wink zu verstehen, dass er anfangen solle zu spielen. Erneut waberte die altertümliche Weise durch das prächtige, aber so kalte Anwesen. »Doch lasst mich Euch noch eines sagen: Ich habe lange geglaubt, dass die Imhoff selbst ihren Gatten umgebracht hat, auch wenn ich es nie beweisen konnte. Meine Frau, Gott hab sie selig, hat mich jedoch schließlich vom Gegenteil überzeugt.« Er beugte sich nach vorne. Hausers Stimme war nun leise und ebenso summend wie die Flöte. »Irgendjemand anders hat Andreas Imhoff auf dem Gewissen. Und es war nicht die Krone.«
Die Flöte klang plötzlich schrill wie ein Schrei, und die blinden Augen des Richters waren direkt auf Augustin gerichtet.
»Hütet Euch, von Küffen, hütet Euch«, murmelte Hieronymus Hauser. »Ihr weckt vielleicht Dinge, die man besser ruhen lässt. Ist es das nach all den Jahren wirklich wert?«
Ohne ein Wort des Abschieds erhob sich Augustin und schritt hastig auf den Ausgang zu. Er musste weg von hier! Weg von diesem blinden alten Mann, von den teuren Möbeln und der Kälte, die von ihnen ausging.
Noch lange nachdem er die Stufen hinab in den Garten geeilt war, hörte der Anwalt die traurige Melodie, die ihn nun wie ein schlechter Geruch hinaus auf die Gasse verfolgte.
Zwei Tage später saß Augustin von Küffen auf einem wackligen Schemel in den Kellern des Kölner Domhofs und brütete über einem Stapel Pergamente. Sein Rücken schmerzte, und die Augen taten ihm vom vielen Lesen weh. Nur wenige tranige Kerzen spendeten Licht und warfen zuckende Schatten auf die mannshohen Regalwände, die in unzählige kleine Fächer unterteilt waren. Jedes Fach enthielt Dutzende von Akten, die sich auf Gerichtsfälle der letzten Jahre und Jahrzehnte bezogen. Es roch nach aufgewirbeltem Staub, modrigem Leder und verbrauchter Luft.
Augustin streckte das Kreuz durch und seufzte leise. Ganze sechs Stunden kauerte er heute bereits wieder im Kölner Gerichtsarchiv, das sich direkt unter dem Ratsgericht befand. Die Keller waren ein verwinkeltes Labyrinth, in dem sich meist nur einige blasse Justiziare und junge Laufburschen aufhielten, die den hohen Herren die nötigen Akten
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