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Die vierte Zeugin

Die vierte Zeugin

Titel: Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja u.a. Kinkel , Oliver Pötzsch , Martina André , Peter Prange , Titus Müller , Heike Koschyk , Lena Falkenhagen , Alf Leue , Caren Benedikt , Ulf Schiewe , Marlene Klaus , Katrin Burseg
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anfechten zu können. Wer gegen die heilige katholische Kirche und den gesamten Klerus zu Felde zog, dem sollte man nicht zutrauen, Lügen zu verbreiten und die Besitztümer armer Kaufmannswitwen zu veruntreuen? Richard Charman wusste, dass es riskant war und wie sehr er sich in Acht nehmen musste, aber die Sehnsucht nach Trost und Vergebung war übermächtig in ihm.
    Seine Schritte hallten durch die schmale Häuserschlucht, dann lichteten sich die Gebäude. Ein halber Mond malte milchige Ränder an die dunklen Wolkenberge, zwischen denen von Zeit zu Zeit die Sterne hindurchschimmerten. Eine unerklärliche Wärme ergriff von Richard Charman Besitz.
    Das rote Haus stand als letztes der Kettengasse vor der inneren Stadtmauer Kölns. Nichts wies darauf hin, dass hier Verbotenes getrieben wurde, Predigten gehalten wurden, die alle Versammelten um Kopf und Kragen bringen könnten, würde die Obrigkeit davon erfahren.
    Leise krächzte das schmiedeeiserne Tor. Der regennasse Kies gab unter Richard Charmans Gewicht nach wie Wachs und knirschte dumpf.
    Am Eingang angekommen, lauschte er.
    Es war still. Oder hatte er ein entferntes, holzgedämpftes Hüsteln vernommen und mühsam unterdrücktes Stimmengewirr? Er nahm allen Mut zusammen und klopfte.
    Dreimal.
    Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis Charman endlich hörte, wie sich leise Schritte näherten. Kurz darauf fragte eine Stimme: »Die Losung?«
    Charman presste seine Lippen ans Holz.
    »Kristus.«
    Zwei Riegel wurden beiseitegeschoben und die Tür geöffnet. Charman sah dem Mann, der ihn dort im Eingang des roten Hauses mit einer Ölleuchte in der Hand prüfend betrachtete, ins Gesicht. Es war ein älteres, fast zerbrechlich wirkendes Männchen, aus dessen Augen jedoch Glück und Zufriedenheit eines jungen Burschen sprachen.
    »Komm schnell, Bruder«, begrüßte ihn der Alte freundlich und zog ihn ins Innere. Dann schob er seinen Kopf aus dem Türspalt ins Dunkel der Nacht hinaus und sah sich nach allen Seiten um, ob Richard Charman vielleicht doch die Häscher der verhassten Kirche oder andere Spione gefolgt waren. Wenige Augenblicke später schloss er die Tür und verriegelte sie.
    Er bedeutete Charman mit einem Handzeichen, ihm in den Keller des Hauses zu folgen. Die Stufen waren glitschig und ausgetreten, so dass Charman sich von Zeit zu Zeit an einem der grob gehauenen Steine festkrallen musste, die aus dem Mauerwerk ragten wie Zahnstümpfe. Dem Alten indes schien der feuchte, unsichere Untergrund nichts auszumachen. Zielstrebig folgte er den Stufen abwärts. Je tiefer sie gelangten, desto verbrauchter und modriger war die Luft, die Charman entgegenschlug; es war stickig und schwül. Auch waren nun deutlich Stimmen zu vernehmen, keine einzelnen, sondern ein gedämpftes, unterschwelliges Geräusch aus vielen Kehlen, aus dem von Zeit zu Zeit ein Hüsteln herauszuhören war.
    Der Alte hatte den Keller erreicht und schritt um eine Ecke des Abgangs. Charman folgte ihm wie in einem Traum. Nachdem er einen niedrigen Rundbogen aus Ziegeln durchschritten hatte, öffnete sich vor ihm eine unterirdische Halle, ein Raum, der gut und gerne zwanzig auf dreißig Schritte maß, gesäumt von einem Dutzend Fackeln, die von schmiedeeisernen Klauen gehalten wurden und deren Flammen groteske Bilder an die weiß gekalkten Wände warfen. Die Decke der Halle wurde von sechs baumdicken Säulen getragen, die in zwei Reihen in ihrer Mitte standen. Am Kopfende des Raumes befand sich ein wuchtiger Tisch, der mit einem hellen Leinentuch bedeckt war und auf dem einige Kerzen brannten. Über dem derb gezimmerten Altar erhob sich ein schlichtes Kreuz, drei Ellen lang.
    Charman atmete tief durch, und auch wenn die Luft zum Schneiden war und in seinen Lungen brannte, so spürte er, dass es der Geist der Gläubigen war und die Anwesenheit einer unbestimmten Heiligkeit, die ihm Kraft gaben, noch bevor der Prediger überhaupt ein Wort gesprochen hatte. Dieser, ein untersetzter Mann mit Tonsur und einem Doppelkinn, das wie eine Welle über den weißen Hemdskragen drängte, hatte das Neue Testament in der Hand, bereit, das Wort Gottes zu verkünden. In schlichten schwarzen Stoff gewandet, stand er vor dem Altar und war mit einem anderen Mann ins Gespräch vertieft. Charman ließ seinen Blick über die Gesichter der Anwesenden schweifen. Zuckend fiel das Licht der Fackeln in das Antlitz der Menschen, verzerrte deren Konturen, zeichnete sie nach mit feurigem Schein und dicker schwarzer Schattenkreide.
    Mit

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