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Die vierte Zeugin

Die vierte Zeugin

Titel: Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja u.a. Kinkel , Oliver Pötzsch , Martina André , Peter Prange , Titus Müller , Heike Koschyk , Lena Falkenhagen , Alf Leue , Caren Benedikt , Ulf Schiewe , Marlene Klaus , Katrin Burseg
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jetzt.
    »Zwiebeln haben wir ja zuvor gekauft, ich hab den Kappes und den Käse – auf zu den Erbsen!«, riss Brid sie aus ihren Gedanken und stapfte voran.
    »Du bist so teilnahmslos!«, beschwerte sich Stingin, die kaum glauben konnte, dass ihre Freundin nicht bereit war, sich mit ihren Nöten auseinanderzusetzen. »Ich muss doch gewiss ganz fürchterlich achtgeben auf meine Rede! Ob mir all die Worte einfallen, die vor den weisen Räten ziemlich sind?«
    »Wir reden, wenn wir im Warmen sind! Je schneller wir unsere Einkäufe hinter uns bringen«, Brid lächelte verschmitzt und beugte sich zu ihr hin, »desto eher können wir uns in der Gadde mit einem Becher heißen Wein aufwärmen. Ich habe Geld mitgenommen, komm!«
    Brids Ton war heiter und fürsorglich, und Stingin musste unwillkürlich schmunzeln. Beruhigt indes fühlte sie sich kaum. Aber sie zwang ihre Unruhe nieder, besann sich auf ihre Pflichten und kaufte ein großes Stück gelben Käse, Äpfel, die Erbsen sowie den Pfeffer.

    Die gefüllten Leinenbeutel zu ihren Füßen, lehnten Stingin und Brid wenig später an einer Wand unweit vom Stand des Glasschneiders und nippten an ihrem Würzwein.
    »So, nun erzähl!«, forderte Brid Stingin auf. »Es heißt, man wolle Agnes Imhoff wegen der Schulden festsetzen, die sie an diesen Engländer hat.«
    »Aber die Schulden hatte doch ihr Mann!« Stingin hielt ihren Becher umklammert und starrte hinüber zu den kleinen bunten Glasplatten an den Stellwänden des Händlers, die vom Licht einiger Laternen bestrahlt wurden. Doch angesichts der Traurigkeit und Angst, die sich in ihr ausbreiteten wie ein böses Fieber, konnte sie sich nicht an deren Anblick erfreuen. »Man hat sie der Lüge bezichtigt. Sie ist nur noch ein Schatten ihrer selbst, Brid. Sie tut mir so leid!«, fügte sie leise an, während sie die wunderschöne Frau vor sich sah, mit ihren Augen in sanftem Rehbraun, ihrer Haut wie heller Samt und ihrer geraden Nase. Nicht eine so schrecklich nach oben gebogene, schief gewachsene Möhre wie ihre eigene, und als wäre das nicht genug, hatte Stingin Augen, die verschrumpelten Rosinen glichen, und eine Gesichtshaut, die wie eine fettige Schwarte glänzte.
    »Ein Schatten ihrer selbst? Diese hübsche Frau, nach der die Männer ihre Köpfe drehen?«, fragte Brid, und ihre Stimme hatte einen spitzen Beiklang. »Das kann ich mir nicht vorstellen. Sie, die stets herausgeputzt ist bis aufs letzte Perlchen?«
    »Aber nun rede nicht so daher!« Natürlich trug ihre Herrin Edelsteine und Brüsseler Spitze. Das gebührte ihrem Stand als vermögende Tuchhändlergemahlin. Daran war nichts Schlechtes, zumal sie darauf achtete, ihre Gewänder schlicht zu halten. »Sie ist edelmütig, wie du weißt, sie hat mich damals zu sich genommen.«
    »Ja, du hast es mir erzählt. Du warst vierzehn Jahre alt und dein Vater schlug dich. Sie hat dich aus dem Elend befreit, obwohl ihr Ehemann dagegen war.«
    Brid sagte es so gelangweilt auf, dass Stingin ihr verwundert den Kopf zudrehte. »Was ist denn nur in dich gefahren? Ich dachte, du verstehst, wie schlimm ich es hatte!«
    »Ja, du lässt nichts auf sie kommen. Aber es wird halt so Einiges geredet über Agnes Imhoff. Der Prunk, die edlen Gewänder, die vielen Feste …«
    »Dem Gepränge neigte ihr Ehemann zu. Sie indes blieb immer bescheiden! Zudem sorgt sie dafür, dass auch anderen etwas von ihrem Wohlstand zuteil wird. Sie entlohnt mich gut, und hin und wieder gibt sie mir einen freien Tag. Sie macht mir Geschenke zu Ostern und zu Weihnachten. Es ist ihr Geld, mit dem ich unseren Wein bezahlt habe!«
    »Ihr Geld, ihr Geld!«, äffte Brid sie nach. »Ich hatte selber welches mit.«
    »Aber dass ich dich nun einlud, ist dir sicher nicht unrecht, nicht wahr?«
    Brids Arm fuhr durch die Luft. »Ach, lass mich doch in Ruhe mit deiner ewig Guten!«, rief sie verärgert. »Ich sage ja bloß, was die Leute reden. Da macht man sich eben auch so seine Gedanken. Du lebst doch in ihrem Haus, du musst doch sehen, wie sie wirklich ist! Man munkelt, sie habe ihre Schönheit gezielt eingesetzt, um …« Brid unterbrach sich selbst, machte einen spitzen Mund und ergänzte, indem sie den Kopf leicht zur Seite neigte: »Nun, um ihren Mann bei seinen Geschäften zu unterstützen.«
    Jetzt konnte auch Stingin ihre Wut nicht mehr zurückhalten. »Das würde sie niemals mit Vorsatz machen!«, rief sie aus und stieß Brid den Finger vor die Brust. »Ich sage dir, sie ist großzügig und herzensgut! Ich

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