Die vierte Zeugin
Titel:
Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Tanja u.a. Kinkel
,
Oliver Pötzsch
,
Martina André
,
Peter Prange
,
Titus Müller
,
Heike Koschyk
,
Lena Falkenhagen
,
Alf Leue
,
Caren Benedikt
,
Ulf Schiewe
,
Marlene Klaus
,
Katrin Burseg
lächelte verhalten. Es war ein ausnehmend guter Wein. Gewürzt mit Honig und Zimt, heiß und wohltuend. Wie eine warme Flut verdrängten bereits die ersten Schlucke, die Richard Charman zu sich nahm, einen Teil der Erinnerungen an diesen trüben Tag.
Unvermittelt huschte der Wirt zur Kammertür und schloss diese geräuschlos.
»Was soll das? Ich danke Euch für diesen Dienst und das gute Mahl, aber Ihr dürft jetzt gehen«, empörte sich Charman, doch die Augen des Wirtes leuchteten wie die eines Kindes.
»Ich weiß es«, sagte er nur.
»Was wisst Ihr?«
»Ihr seid einer von uns. Einer derer, die dem Papst abgeschworen haben, die Luther für den Propheten des Wortes Gottes halten und die der wahren Lehre anhängen.«
Wein tropfte über den Becherrand auf den hölzernen Dielenboden.
»Still!«, zischte Charman. »Bist du irre? Hinaus, du dummer Hund!«
»Ja, ich werde gehen, Bruder«, entgegnete der Wirt ungerührt und noch immer lächelnd. »Habt keine Furcht! Euer Geheimnis ist bei mir in sicheren Händen. Meine Lippen sind versiegelt. Dennoch will ich Euch etwas Wichtiges mitteilen.«
Der Wirt trat näher zu Richard Charman und flüsterte: »Heute Nacht findet in Köln an einem geheimen Ort die Predigt eines Priesters aus Münster statt. Er ist ein leibhaftiger Gefolgsmann des gottbefohlenen Jan van Leiden, von dem Ihr gewiss schon gehört habt. Der, der mit unbarmherzigem Besen all jene auskehrt, die Gott lästern und weiter den Speichel des verfluchten Papstes lecken, und diejenigen voller Großmut und Liebe in sein Herz und die neue Kirche lässt, die die Wahrheit erkennen. Ich kann nicht gehen, ohne Euch das gesagt zu haben, denn nicht nur der Leib will aufs Beste verköstigt werden, auch die ungetröstete Seele bedarf der Nahrung, die ich mir heiliger und besser nicht vorzustellen vermag.«
»Geh jetzt!«, presste Charman hervor, stellte den tropfenden Becher ab und beförderte den dicken Mann unter Mühen zur Tür.
»In der Kettengasse unweit der Stadtmauer, dort im Keller des roten Hauses. Da predigt er zur mitternächtlichen Stunde. Merkt es Euch. Klopft dreimal und es wird Euch aufgetan. Die Losung ist
Kristus
.«
Charman schob den Wirt hinaus, schloss hastig die Tür und lehnte sich mit dem Rücken dagegen, als wollte er sichergehen, dass der Mann und seine ketzerischen Verführungen draußen blieben.
Das Wort Gottes. Die wahre Lehre. Speisung der Seele. Ihm dürstete wahrhaftig nach Trost. Nicht nur das viele Gold und Silber, der Schaden durch den Imhoff’schen Betrug, nein, auch die bloße Abscheu über die hässliche Fratze der Geldgier und der Lügen hatten ihn zermürbt und in eine tiefe Traurigkeit gestürzt. Andreas Imhoff und sein schönes kaltes Weib. Was für Blender und Betrüger! Hätte er es nur geahnt …
Charman merkte, wie es in ihm gärte. Andreas Imhoff hatte die Strafe bekommen, die er verdiente, und doch: Hatte sich Charman versündigt? Augustin von Küffen kam ihm in den Sinn und das tumultartige Gemurmel, das seine Worte ausgelöst hatte. Charman fuhr sich durchs Haar. Schwitzte er? Wie ein Trugbild tauchte in verzerrtem Glanz das Kruzifix des Andreas Imhoff vor seinen Augen auf, welches dieser immer am Halse getragen und niemals, auch zum Schlafe nicht, abgelegt hatte. Dem Toten jedoch war es entrissen worden, als wollte man dem Sterbenden auch noch die letzte Hoffnung auf Gnade und Erlösung verwehren. Gegenwart und Vergangenheit, Sünde und Wahrheit verschwammen.
Ein Zeichen des Allmächtigen?
Charman erhob sich, griff sich Hut und Jacke, löschte das Talglicht und verließ auf leisen Sohlen seine Kammer.
Die Straßen Kölns waren dunkel und verlassen. Ein eisiger Wind strich über die Plätze, fuhr durch die engen Gassen und trug kalten Nieselregen mit sich. Vom Alten Markt aus hielt sich Charman in östlicher Richtung. Zwei Betrunkene schlichen sich nach Hause zu ihren Weibern. Charman schlug den Kragen hoch und zog den Hut tief ins Gesicht. Der Weg war weit, und der Marsch kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Als er endlich die Kettengasse erreichte, die ihn wie ein verbotener, unheilvoller Schlund pechschwarz angähnte, hielt er inne. In dieser Finsternis sehnte er sich noch mehr nach Gottes Licht als zuvor, und er hoffte, es hier zu finden. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals.
Es wäre nicht das erste Mal, dass man Protestanten eine heimtückische Falle stellte, und allein der öffentlich gemachte Verdacht würde Mathis von Homburg genügen, jede seiner Aussagen
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