Die vierte Zeugin
Titel:
Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Tanja u.a. Kinkel
,
Oliver Pötzsch
,
Martina André
,
Peter Prange
,
Titus Müller
,
Heike Koschyk
,
Lena Falkenhagen
,
Alf Leue
,
Caren Benedikt
,
Ulf Schiewe
,
Marlene Klaus
,
Katrin Burseg
jemanden, der mir vor Gericht hilft.«
Ihre geschwungenen Brauen, das offene, freundliche Gesicht – sofort wusste er wieder, warum er Agnes so gern begegnete. Nie würde es etwas zwischen ihnen geben, auch wenn sie nun verwitwet war: Es blieb dabei, er war ein Geistlicher und hatte sich von ihr fernzuhalten. Dennoch war sie eine Frau, die er gern anschaute. Wusste sie das? Spürte eine Frau, welchen Zauber sie auf einen Mann ausübte, auch wenn sie nur Freunde waren?
»Ich hatte gehofft, du würdest eher kommen«, sagte sie.
»Es gab Schwierigkeiten mit dem Erzbischof. Er redet zwar gegen Luther, aber die Ideen der Ketzer beeinflussen ihn. Kürzlich hat er Ambrosius zitiert!«
»Ich verstehe nicht.«
»Ambrosius, den Bischof von Mailand! Der hat vierhundert Jahre nach Christus geschrieben, dass Maria nur der Tempel Gottes war, aber nicht der Gott des Tempels, deshalb sei allein Jesus anzubeten.«
Sie musterte ihn, und er spürte deutlich, dass sie nicht über das Gesagte nachdachte, sondern über ihn. »Das ist nicht der wahre Grund, Adolf. Du hast mich gemieden. Befürchtest du, ich habe Andreas auf dem Gewissen?«
»Unsinn. Ich hatte einfach viel zu tun.« Die Lüge klang so gut, dass er selbst anfing, sie zu glauben. War er nicht wirklich sehr beschäftigt gewesen in den letzten Wochen? »Was sagst du zur Belagerung von Münster?«, fragte er. »Dieser verrückte Jan van Leiden, der sich König Johannes nennt und die Stadt in seiner Gewalt hat! Er ist dreiundzwanzig, genauso alt wie ich. Er treibt Vielweiberei, heißt es, und führt eine Schreckensherrschaft. Noch halten sie der Belagerung stand. Aber wenn der Hunger einsetzt, werden sie kapitulieren.«
»Adolf.« Ihr Blick ging ihm durch und durch. »Hältst du zu mir oder nicht?«
»Wäre ich sonst hier?«
Sie musterte ihn verunsichert. »Ich weiß nicht. Während der letzten Wochen habe ich oft gedacht, dass ich mich in dir getäuscht haben muss.«
Ärger stieg in ihm auf. »Was hast du erwartet? Dass ich die Machenschaften deines Mannes vor Gericht verteidige? Es geht dort nicht um dich! Es geht darum, seine Betrügereien zu sühnen.«
»Es geht sehr wohl um mich. Darum, ob ich meine Tochter aufziehen kann, ob ich Essen und Kleidung habe. Was kann ich für die Untaten von Andreas? Auch ich bin sein Opfer gewesen.«
Nun hatte sie Tränen in den Augen. Das hatte er nicht gewollt. Er trat an sie heran und berührte ihren Arm. »Deshalb bin ich doch gekommen. Ich will dir helfen. Verlasse mit der Kleinen die Stadt! Meine Schwester Cordula kann euch mit nach Schaumburg nehmen. Ihr verkleidet euch als Dienstmädchen und reist mit ihr aufs Land. Niemand wird dich mehr vor den Richter zerren.« Er ließ Agnes los, hockte sich hin und sah in den Schrank. »In Schaumburg wird es dir bestimmt gefallen, Sophie. Wir haben Pferde und Gänse, und es gibt Kinder, mit denen du spielen kannst.«
»Schaumburg?« Agnes flüsterte es mehr, als dass sie es aussprach. »Wir gehen nicht aus Köln weg. Hier bin ich geboren, hier ist Sophie geboren, wir sind ein Teil dieser Stadt. Wir lassen uns nicht vertreiben. Noch haben wir das Haus, und wir haben die Witwenrente der Tuchhändlergilde, die mir zusteht.«
»Verstehst du nicht?« Er stand wieder auf. »Ihr werdet all das verlieren.«
»Ich will in der
Wolkenburg
bleiben«, sagte die Kleine im Schrank.
Wolkenburg,
so hatte sie das Haus einmal getauft und ließ seitdem davon nicht ab, es so zu nennen.
»Du machst ihr Angst«, schimpfte Agnes. Sie zog ihn weg vom Schrank. Bis zum Kachelofen zerrte sie ihn und sagte leise: »Und mir machst du auch Angst. Muss das sein? Der Prozess ist doch längst nicht entschieden! Ich habe einen guten Anwalt, der für mich streitet. Gestern hat er vor Gericht eingegeben, dass Andreas mich zur Unterschrift gezwungen hat und dass ich deshalb für die Verträge nicht belangt werden kann. Und heute Vormittag hat die Stingin, unsere Magd, das bestätigt und den Herren Schöffen dargelegt, dass ich eine vorbildliche Ehefrau gewesen bin.«
»Klammere dich nicht an deinen Besitz«, beschwor er sie. »Höre auf mich, verlasse Köln und zieh zu meiner Familie aufs Land. Es ist das Beste für dich und Sophie!«
»Wie kann es das Beste für uns sein? Hier hat sie ihre gewohnte Umgebung, die sie über alles liebt. Und ich kann genauso wenig fortgehen. Du weißt doch, es gibt mittellose Familien, die auf meine Unterstützung angewiesen sind. Und auch im Beginenkonvent benötigen sie meine Hilfe.
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