Die vierte Zeugin
Titel:
Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Tanja u.a. Kinkel
,
Oliver Pötzsch
,
Martina André
,
Peter Prange
,
Titus Müller
,
Heike Koschyk
,
Lena Falkenhagen
,
Alf Leue
,
Caren Benedikt
,
Ulf Schiewe
,
Marlene Klaus
,
Katrin Burseg
überschrieben hatte, angewiesen, ansonsten würde sie mitsamt ihrer Tochter wie eine Bettlerin auf der Straße sitzen.
Zutiefst bedrückt stand sie auf und ging ans Fenster. Während sie die Welt dort draußen durch die runden Scheiben betrachtete, dachte sie darüber nach, wie sie noch vor nicht allzu langer Zeit bereit gewesen war, wenigstens eines dieser Häuser an Charman abzutreten.
Oh ja, mit Richard hatte sie etwas verbunden, das, wie Gerlin bitter bemerkt hatte, weit über Freundschaft hinausging und das einer sittsamen Ehefrau gewiss nicht anstand. Aber hätte sie das vor Gericht, vor den versammelten Bürgern dieser Stadt zugeben sollen? Niemand durfte erfahren, was genau sich zwischen ihnen zugetragen hatte, vor allem Sophie nicht.
Agnes war nicht mehr zur Ruhe gekommen, seit Clewin ihr über die Machenschaften ihres Mannes die Augen geöffnet hatte. Von der Überzeugung getrieben, nicht nur den guten Namen des Imhoff’schen Geschäfts, sondern auch ihren eigenen verteidigen zu müssen, hatte sie einen Entschluss gefasst. Sie nahm sich vor, das an Richard Charman begangene Unrecht auch ohne die Unterstützung ihres Mannes wieder ins Lot zu bringen und gleichzeitig sich selbst und Sophie vor dem drohenden Unheil zu bewahren. Doch dafür hatte sie das Einverständnis und die Hilfe des Engländers benötigt.
Agnes traf den Engländer, wie man ihn allenthalben in Köln nannte, das erste Mal im Frühling des vergangenen Jahres, als Andreas ihn zu einem ihrer Feste einlud. Und bereits damals imponierte ihr seine stattliche Erscheinung.
Obwohl er ein reicher Händler war, kleidete er sich vergleichsweise schlicht in Wolle und Leder. Alles, was er trug, war zwar von guter Qualität, aber ohne jeglichen Prunk. Sein dunkelblondes Haar war ordentlich geschnitten und reichte ihm bis auf die Schultern. Ein paar Fältchen umspielten seine tiefblauen Augen, die Agnes sogleich in ihren Bann zogen. Im Gegensatz zu seinem energisch-kantigen Kinn war der Mund weich und die Nase gerade und spitz, was ihn auf den ersten Blick feinsinnig und edel erscheinen ließ.
Als jedoch Richard Charman das Imhoff’sche Kontor einige Zeit nach dem Vorfall mit der vertauschten Ware aufsuchte, wurde er, entgegen seiner üblichen zurückhaltenden Art, laut und beschimpfte Andreas in ihrem Beisein als einen Lügner und Betrüger. Damals konnte Agnes kaum glauben, was sie da hörte. Andreas sollte die wertvollen flandrischen Tuche, die Charman ihnen aus Antwerpen geschickt hatte, unterschlagen und durch andere, minderwertige ersetzt und zurückgeschickt haben. Am Ende verließ Charman wutentbrannt das Haus, erhob noch auf der Straße die Faust und drohte mit dem Richter.
Später traf sie ihn zufällig auf dem Markt, und er appellierte in leidenschaftlicher Weise an ihr Mitgefühl.
»Ihr seid doch eine Frau mit Mut und Verstand«, erhob er vor allen Leuten seine Stimme. Dann zog er sie gegen ihren Willen in den Schatten einer Linde und beschwor sie geradezu mit seinem intensiven Blick, ihn anzuhören.
Doch obwohl sie ihn im Grunde schon damals sehr mochte, entzog sie sich schweren Herzens seinem Einfluss, mit der Begründung, dass sie von all dem nichts wisse und ihm beim besten Willen nicht helfen könne. Verwirrt und zutiefst verunsichert lief sie anschließend nach Hause.
Kurz darauf erhielt sie den Hinweis von ihrer Pächterin Ursel Rumperth, dass an der Sache doch etwas dran sein könnte. Daraufhin kam es zwischen Agnes und ihrem Mann zu einem bösen Streit, weil sie es wagte, den Handel mit Charman zu hinterfragen, ohne jedoch die Quelle des Zweifels zu nennen.
Andreas verbot ihr wie üblich das Wort und betrank sich hernach sinnlos in einer Schenke. Als er zurückkehrte, zerrte er sie ohne Worte ins Bett, wo er sie mit Gewalt nahm und anschließend schlug.
Es war nicht das erste Mal, dass er so mit ihr umging. Und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, hatte sie ihn nie anders gekannt. Schon gleich nach ihrer Hochzeit hatte er sie das erste Mal gezüchtigt, weil sie angeblich mit Absicht die Blicke anderer Männer auf sich zog und sich geweigert hatte, ihm jederzeit zu Willen zu sein. Völlig außer sich hatte er damals behauptet, sie sei ein gieriges Weib, das ihn nicht aus Liebe, sondern nur des Geldes wegen geheiratet habe.
Mit den Jahren war es immer schlimmer geworden, und zur Vergeltung ihrer angeblichen Sünden hatte er sie regelmäßig mit den Händen oder dem Stock traktiert. Danach war ihr nichts anderes übrig
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