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Die vierte Zeugin

Die vierte Zeugin

Titel: Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja u.a. Kinkel , Oliver Pötzsch , Martina André , Peter Prange , Titus Müller , Heike Koschyk , Lena Falkenhagen , Alf Leue , Caren Benedikt , Ulf Schiewe , Marlene Klaus , Katrin Burseg
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falsch einordnete, würde ihn in Zukunft niemand finden. Nur er wüsste, wo er danach suchen müsste.
    Der Nebel ließ ihn frösteln. Mit gesenktem Haupt hastete Hauser durch die Straßen, die Morgengrüße der Passanten erreichten ihn nicht. Auch verspürte er keinen Appetit. An der Bäckerei vorbei lief der Richter auf den Neumarkt zu.
    Gott wird es schon richten.
Bettys Worte geisterten in seinem Kopf herum. Noch einmal rief er die Punkte auf, die er gestern schon zu Papier gebracht hatte. Der Fall war klar, das Urteil ebenso – in Hausers Gedanken hatte es schon Formen angenommen. Die Worte warteten nur darauf, aus seinem Kopf heraus auf ein Pergament zu fließen. Dicke, schwarze Tinte und das richterliche Siegel würden die Rechtmäßigkeit seiner Entscheidung bekräftigen.
    Agnes Imhoff – sie war schuldig! Vor Gott und vor dem Kaiser. Und alles Gerede von Gnade und dem Erzengel war nicht mehr als das Gespenst einer Nacht.
    Doch ein letzter Zweifel blieb und hängte sich an seinen Rockzipfel.
    Am Neumarkt blickte Hauser sich verstohlen um, von dem Flötenspieler war nichts zu sehen. Erleichtert sah er zum Treppengiebel des Patrizierhauses hinauf. Nebel verdeckte an diesem Morgen Justitias Waage. Hauser wartete einen Moment, doch es war noch zu früh. Die Sonne würde sich erst später ihren Weg durch die herbstlichen Schleier bahnen. Achselzuckend trottete Hauser die Gassen zum Alten Markt hinauf.
    Erst auf dem Domhof sah er den Jungen. Gabriel hatte sich in eine der Nischen des Langhauses gestellt. Zu seinen Füßen lag das Barett, einige Münzen funkelten darin.
    Doch kein Traum!
Hauser trat näher. Als der Junge ihn sah, begann er zu spielen. Seine Musik schien heute noch eine Spur süßer und verlockender zu klingen. Gebannt starrte der Richter auf Gabriels Lippen.
    »Guten Morgen, Richter!« Der Junge setzte die Flöte ab und verneigte sich. »Wo wart Ihr gestern? Ich habe lange auf Euch gewartet.«
    »Ich hatte keine Zeit«, sagte Hauser, vielleicht ein wenig zu schroff.
    »Und heute Abend?« Gabriel sah ihn erwartungsvoll an.
    »Ich kann nicht …«
    Ein Schatten zog über das Gesicht des Engels, Gabriels Lächeln verlosch. Im nächsten Moment setzte er die Flöte wieder an seine Lippen.
    Die Musik hatte sich verändert, das Spiel hatte seine Seele verloren. Die Töne klangen hart und fordernd, als spielte der Junge nun für jemand anderen.
    Hauser sah über die Schulter. Vom Alten Markt her näherte sich eine Gruppe von Kaufleuten, lachend und scherzend liefen die Männer über den Platz.
    Mit einer eleganten Drehung tänzelte Gabriel aus seiner Nische heraus. Er trippelte auf die Gruppe zu, unter Verbeugungen umrundete er die Kaufleute. Wieder lockte und schmeichelte die Flöte.
    Die Männer blieben stehen, lachten wieder. Einer steckte dem Jungen etwas in den Gürtel. Ein weiteres Lied folgte.
    Was hatte er nur in ihm gesehen?
Angewidert wandte Hauser sich ab. Langsam und schwerfällig erklomm er die Stufen zum Gerichtssaal. Und mit jedem Schritt ließ er den Abschaum der Gosse hinter sich.
    Gott richtet, dachte er, Gott allein. Der Prozess würde das Ende nehmen, welches der Herr ihm zugedacht hatte. So war es immer schon gewesen, so würde es auch in Zukunft sein.
    Im Richterzimmer öffnete Hauser die Schublade an seinem Tisch und nahm die Wurst heraus. Dann leckte er sich die Finger. Schon spürte er, dass sein Appetit zurückkehrte.
    Aus einer Karaffe goss Hauser sich einen Becher Ratswein ein. Während er trank, kam ihm der Gedanke, dass der Herr ihm ein Zeichen geschickt hatte. Er zog den Schlüssel aus seinem Beutel und legte ihn vor sich auf die Akten. Voller Tatendrang machte er sich daran, das Urteil im Fall Charman gegen Imhoff zu Papier zu bringen.

KAPITEL 15

23. 11. 1534

    Fünfter Verhandlungstag

    A gnes erwachte im Morgengrauen aus einem schrecklichen Albtraum. Wie eine alte Frau kroch sie mit heftig pochendem Herzen aus den Federn. Aber noch schlimmer war das anhaltende Gefühl, dass die Welt sie mit bösen Augen verfolgte – aus den Tiefen des kalten Kamins, aus den Ecken der dunklen Holzvertäfelung. Sogar unter dem Bett schien etwas unendlich Niederträchtiges zu lauern, das sie zu verschlingen drohte, sobald sie auch nur einen Fuß auf den Boden setzte.
    Beunruhigt blickte sie zurück auf ihre Schlafstatt. Zwischen den Kissen schaute ein blonder Schopf hervor. Es war Sophie, die tief und fest schlief. Was hatte dieses arme Mädchen nicht alles in den vergangenen Wochen und

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