Die vierte Zeugin
Titel:
Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Tanja u.a. Kinkel
,
Oliver Pötzsch
,
Martina André
,
Peter Prange
,
Titus Müller
,
Heike Koschyk
,
Lena Falkenhagen
,
Alf Leue
,
Caren Benedikt
,
Ulf Schiewe
,
Marlene Klaus
,
Katrin Burseg
geblieben, als die blauen Male notdürftig unter ihrer kostbaren Kleidung zu verstecken, die Andreas ihr trotz oder gerade wegen seiner Grobheiten des Öfteren schenkte. Agnes war es inzwischen längst gleichgültig, ob und wann er sie schlug, aber nicht wo. Solange er es in der Intimität ihres Schlafzimmers tat, war sie bereit, sich in ihr Schicksal zu ergeben. Nicht aber, wenn es vor Sophies Augen geschah, was in letzter Zeit immer häufiger der Fall war. Manchmal reichte nur ein falsches Wort, um ihn in Rage zu bringen.
Am liebsten wäre sie ihm davongelaufen. Doch wohin sollte sie gehen? Ihre Eltern, ehemals angesehene Kaufleute, waren längst tot. Geschwister hatte sie keine. Aber am meisten bedrückte sie, dass sie nichts Eigenes und keinerlei Talente besaß, um für Sophie und sich selbst einen gesicherten Lebensunterhalt verdienen zu können.
»Du könntest allenfalls deinen Leib an betrunkene Freier verkaufen«, hatte Andreas gehöhnt, als sie nach einem besonders bösartigen Angriff allen Mut zusammengenommen und ihm damit gedroht hatte, ihn zu verlassen.
Im Rückblick konnte sie nicht mehr zweifelsfrei sagen, was sie sich dabei gedacht hatte, als sie Charman kurz nach ihrem Streit mit Andreas heimlich besucht hatte.
Der gut aussehende Geschäftsmann hatte ihr bereits bei früheren Begegnungen immer wieder mit Blicken und kleinen Gesten zu verstehen gegeben, wie sehr er sie schätzte. Er selbst hatte ihr unter der Linde verraten, dass er im
Schwarzen Hahn
am Alten Markt logierte, und sie aufgefordert, ihn dort zu besuchen, was ihr merkwürdig erschienen war.
Vielleicht war es ein diffuses Gefühl von reuiger Verpflichtung gewesen, das sie dazu gebracht hatte, ihn nun doch aufzusuchen, nachdem sie von Clewin erfahren hatte, wie übel Andreas dem Engländer tatsächlich mitgespielt hatte. Zusätzlich war ihr Vorhaben von dem Gedanken genährt worden, dass sie dieses Geschäft mit ihrer naiven Unterschrift überhaupt erst möglich gemacht hatte. Andererseits hatte sie vielleicht geglaubt, Andreas mithilfe von Charman und dem Wissen von Clewin noch zur Vernunft bringen und dazu bewegen zu können, seine Verfehlungen wieder rückgängig zu machen. Denn nur so wäre seine Seele vor dem drohenden Höllenfeuer zu retten gewesen. Und falls nicht, so hatte sie möglicherweise auf Charmans Verständnis für ihre missliche Lage gehofft, darauf, dass er bereit sein würde, auf ihr Angebot einzugehen und ihr anschließend aus der Umklammerung ihres unlauteren Ehemanns herauszuhelfen.
Der Umstand, dass Andreas für mehrere Tage zu einer Messe nach Aachen verreist war, hatte schließlich für Agnes den Ausschlag gegeben, ihren waghalsigen Plan in die Tat umzusetzen.
Noch immer erschien es ihr wahrhaft verrückt, dass sie ganz allein in einem dunklen Mantel und mit heruntergezogener Kapuze in den
Schwarzen Hahn
gegangen war …
Mutig trat sie an den Ausschank heran und erkundigte sich bei dem dicklichen Wirt mit der Halbglatze nach Charman. Nachdem er die Anwesenheit des Engländers bestätigt hatte, bat sie ihn, Charman zu fragen, ob er bereit sei, sie zu empfangen.
»Seit wann kommen die bestellten Huren im Nonnengewand daher?«, grölte einer der betrunkenen Gäste lautstark, weil es wohl nur eine Sorte von Frauen gab, die sich zu so später Stunde und ohne schützende Begleitung nach einem Mann erkundigten. Der Rest der Gäste brach daraufhin in dröhnendes Gelächter aus.
Agnes lief es bei den haltlosen Sprüchen der Männer heiß und kalt den Rücken hinab. Obwohl sie diesem unverschämten Kerl, der das Geschwätz begonnen hatte, am liebsten die Meinung gesagt hätte, blieb sie ruhig, um vor den übrigen Gästen ihre Identität nicht zu offenbaren. Nicht auszudenken, wenn jemand sie oder Andreas gekannt hätte.
Bebend vor Aufregung wartete sie am Treppenaufgang hinter dem Schankraum auf Charmans Antwort.
In einer Mischung aus Erleichterung und Furcht folgte sie anschließend dem Wirt in die oberen Gemächer, nachdem Charman seine Zustimmung gegeben hatte.
»Guten Abend, Madame«, begrüßte der Engländer sie mit weltmännischem Charme, als sie über die Türschwelle trat. Er verbeugte sich und reichte ihr höflich die Hand.
Im Takt eines Herzschlages überblickte Agnes die Einrichtung der durchaus geräumigen Stube. Ein Bett, ein Stuhl, ein Tisch, darauf eine brennende Wachskerze und ein halb aufgegessenes Mahl. Der Wirt, der Agnes hinaufbegleitet hatte, tauschte die leere Weinkaraffe gegen eine
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