Die vierte Zeugin
Titel:
Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Tanja u.a. Kinkel
,
Oliver Pötzsch
,
Martina André
,
Peter Prange
,
Titus Müller
,
Heike Koschyk
,
Lena Falkenhagen
,
Alf Leue
,
Caren Benedikt
,
Ulf Schiewe
,
Marlene Klaus
,
Katrin Burseg
Charman offengelegt und damit entscheidend ihre Glaubwürdigkeit untergraben hatte.
Gerlin hob eine ihrer fein gezogenen Brauen, bevor sie antwortete, und überblickte mit bedauernder Miene die Unordnung, die allenthalben im Haus herrschte.
»Ich denke, mit einer Anstellung als Magd in meinem Haushalt sollten die meisten Kosten beglichen sein.«
Agnes seufzte gequält. Am liebsten hätte sie das Angebot abgelehnt. Doch was blieb ihr anderes übrig?
»Also was ist nun?«, fragte Gerlin mit ungeduldiger Miene. »Wählst du lieber die Straße oder eine ordentliche Anstellung in einem einfachen, aber soliden Haushalt?«
Wie beiläufig warf sie einen Blick auf Sophie, die in einem Berg von zusammengetragenen Kissen mit ihren Puppen spielte.
»Ich könnte dem Mädchen ein vernünftiges Zuhause bieten. In zwei oder drei Jahren wird sie flügge, dann gilt es, einen respektablen Ehemann für sie zu finden. Und den bekommt sie nur, wenn sie einem anständigen Hause entstammt. Es sei denn, du willst sie lieber gleich für immer zu den frommen Frauen geben, auf dass sie eine Nonne wird.«
»Also gut«, gab Agnes nach, obwohl sie bereits ahnte, dass ihr in Gerlins Haus ein bitteres Los beschieden sein würde. »Du hast Recht«, fügte sie hinzu und verkniff sich ein verbittertes Lächeln. »Für Sophie ist es wohl das Beste.«
In Wahrheit sah sie sich schon jetzt für den Rest ihres Lebens den lieben langen Tag auf Knien rutschend Gerlins steinerne Fußböden schrubben und ihrer Cousine und deren Mann Hannes die Mahlzeiten an den Tisch tragen. Doch was blieb ihr anderes übrig, wenn sie Sophie ein halbwegs geordnetes Leben sichern wollte?
KAPITEL 17
September 1555
21 Jahre später
S ophie Elverfeldt hielt fröstelnd inne, als sie aus dem Beginenkonvent erneut ins Freie hinaustrat. Sie hob eine Hand und legte sie auf das trockene Holz der eisenbeschlagenen, niedrigen Tür, als könnte sie daran erspüren, wie es ihrer Mutter wirklich ging. Agnes hatte verschlossen gewirkt – Sophie kannte sie nicht mehr anders, und das, obwohl sie einander doch einst so nahe gestanden hatten.
Agnes Imhoff war dem Beginenkonvent an dem Tag beigetreten, an dem Goddert Elverfeldt ihre Tochter geehelicht hatte. Seitdem hatte sie es nur selten wieder verlassen. Nun war Goddert, der gute Goddert, seit zehn Monaten tot, und die Mutter bestand darauf, die Tochter mit den bescheidenen Mitteln zu unterstützen, die ihr zur Verfügung standen. Doch wirklich mit ihr sprechen tat sie nicht, und das schmerzte.
Sophie eilte an der Bruchsteinwand des Konvents und am alten Gemäuer von Sankt Katharinen entlang. Sie versuchte, den vielen Karren aus dem Weg zu gehen und gleichzeitig die tiefen Schlammseen auf der Straße zu vermeiden. Dabei raffte sie den bereits fadenscheinigen Wollschal mit einer Hand enger um ihre Schultern; der braune Stoff ihres Kleides bot nur wenig Schutz gegen den rauen Wind, der dieser Tage durch die Gassen pfiff. Wie konnte es im September so kalt in Köln sein, dass sie ihren Umhang und ein Paar Schuhe herbeisehnte?
An ihrem rechten Arm hing ein Weidenkorb, der zum Schutz gegen Dreckspritzer mit einem alten Lappen abgedeckt war. Darin befand sich besticktes Leinen, mit dem die Mutter Sophie ausgestattet hatte. Statt sich selbst Hemden daraus zu nähen, wollte sie das Tuch auf dem Markt verkaufen. Brot brauchte sie dringender als ein neues Leibchen, denn seit Goddert gestorben war, hatte sie Mühe, mit dem Rest seiner Krämerwaren die Miete für das Dach über dem Kopf aufzubringen. Das Angesparte, das er ihr hinterlassen hatte, war dahingeschmolzen, und wenn sie das Geld nun nicht selbst aufbringen konnte, würde sie das Haus verlassen müssen. Und wenn sie erst einmal auf der Straße säße …
Die Angst bildete einen kalten Knoten in ihrem Magen. So weit durfte es nicht kommen.
Als sie die Brücke über dem Mühlenbach hinter sich gelassen hatte, zog sie wie üblich den Kopf zwischen die Schultern und schaute nicht nach rechts oder links. Besonders sorgsam vermied sie den Blick in die Sternengasse. Sie wollte sie nicht sehen, die alte Heimat – die
Wolkenburg
. Wenn sie dort einen Fremden hinter dem Fenster stehen sah, oder in der Tür … Sie fürchtete, von ihren Gefühlen übermannt zu werden. Zu viele Erinnerungen waren mit diesem Haus verbunden.
Der abschüssige Heumarkt unterhalb von Sankt Marien lag nahe am Rheinufer und war so früh am Morgen voll mit Menschen. Bauern priesen von den Karrenflächen Rüben
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