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Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook

Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook

Titel: Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elif Shafak
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beschlossen, nach mir zu suchen.«
    Er lächelte mich reumütig an. Doch gleich verdüsterte sich seine Miene wieder. Es verwunderte ihn, dass ich von seinem inneren Kampf wusste, doch als ehrlicher Mensch, der er nun einmal war, leugnete er die Wahrheit nicht.
    »Ich bin eine Weile umhergezogen, anstatt dich zu suchen, doch irgendwann ging es nicht mehr. Ich brachte es nicht über mich, meinen Vater zu belügen. So kam ich nach Damaskus und begann dich zu suchen, aber du warst nicht leicht zu finden.«
    »Du bist ein ehrlicher Mensch und ein guter Sohn«, sagte ich. »Du wirst deinem Vater schon bald ein wertvoller Gefährte sein.«
    Sultan Walad schüttelte traurig den Kopf. »Der einzige Gefährte, den er braucht, bist du. Ich möchte, dass du mit mir nach Konya zurückkehrst. Mein Vater braucht dich.«
    Als ich dies vernommen hatte, kamen mir viele, zunächst allesamt unklare Gedanken in den Sinn. Meine Nafs ängstigte sich vor der Vorstellung, an einen Ort zurückzukehren, an dem ich so offenkundig unerwünscht war.
    Hör nicht auf ihn. Du hast deinen Auftrag erfüllt. Du musst nicht nach Konya zurückgehen. Denk an Baba Zamans Worte. Es ist viel zu gefährlich. Wenn du in diese Stadt zurückkehrst, wirst du sie nie wieder verlassen.
    Ich wollte weiter die Welt bereisen, neue Menschen kennenlernen und neue Städte sehen. Auch Damaskus gefiel mir, und ich hätte dort leicht bis zum nächsten Winter bleiben können. Die Reise an einen neuen Ort ruft oft entsetzliche Einsamkeit und Traurigkeit in der Seele eines Menschen hervor. Aber mit Gott an meiner Seite war ich zufrieden und erfüllt in meiner Verlassenheit.
    Und doch wusste ich nur zu gut, dass mein Herz in Konya war. Ich vermisste Rumi so sehr, dass es mich schmerzte, auch nur seinen Namen auszusprechen. War es nicht letztlich einerlei, in welcher Stadt ich mich aufhielt, solange Rumi nicht bei mir weilte? Wo immer er lebte, dort war meine Qibla.
    Ich machte einen Zug mit meinem König. Franziskus’ Augen weiteten sich vor Erstaunen, als er mein Verhängnis bemerkte. Doch im Schachspiel – wie auch im Leben – gibt es Züge, die man ausführt, um zu gewinnen, und solche, die man macht, weil es das einzig Richtige ist.
    Sultan Walad riss mich aus meinen Gedanken. »Bitte komm mit!«, flehte er mich an. »Die Leute, die über dich gelästert und dich schlecht behandelt haben, bereuen das inzwischen. Diesmal wird alles besser, ich verspreche es dir.«
    Das kannst du gar nicht versprechen, mein Junge, hätte ich am liebsten gesagt. Das kann niemand versprechen.
    Doch ich nickte nur und sagte: »Ich möchte noch einmal den Sonnenuntergang in Damaskus erleben. Morgen können wir nach Konya aufbrechen.«
    »Wirklich? Ich danke dir!« Sultan Walad strahlte mich erleichtert an. »Du ahnst ja nicht, wie viel das meinem Vater bedeutet.«
    Ich wandte mich Franziskus zu, der geduldig darauf wartete, dass ich weiterspielte. Als sich meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn richtete, verzog er den Mund zu einem spitzbübischen Grinsen. »Jetzt aufgepasst, mein Freund!«, rief er siegesgewiss. »Schach und matt!«

KIMYA
    KONYA, MAI 1247
    B licke können so viel verraten, aber als Schams-e Tabrizi wieder in mein Leben trat, lag etwas Geheimnisvolles in seinen Augen, und er verhielt sich so unnahbar, wie ich es früher nie erlebt hatte. Er hat sich sehr verändert. Mit den langen Haaren, die ihm in die Augen fallen, und der von Damaskus’ Sonne gebräunten Haut wirkt er jünger und hübscher. Aber da ist noch etwas an ihm, eine Veränderung, die ich nicht genau benennen kann. Seine schwarzen Augen funkeln noch immer so verwegen wie früher, doch in seinem Blick liegt auch ein ganz neuer Schimmer. Mir geht der Gedanke nicht aus dem Kopf, dass es die Augen eines Mannes sind, der alles gesehen hat und nicht mehr kämpfen will.
    Aber noch mehr als er hat sich Rumi verändert. Ich hatte geglaubt, all sein Kummer würde verschwinden, wenn Schams zurückkäme, doch das stimmt ganz offensichtlich nicht. Als Schams zurückkehrte, begrüßte Rumi ihn vor der Stadtmauer mit Blumen. Als aber die Freude der ersten Tage ein wenig abgeklungen war, wurde Rumi noch unruhiger und unzugänglicher als zuvor. Ich glaube den Grund zu kennen. Nachdem er Schams einmal verloren hat, befürchtet er, ihn ein zweites Mal zu verlieren. Ich kann das besser verstehen als jeder andere, denn auch ich habe Angst, ihn zu verlieren.
    Der einzige Mensch, mit dem ich über meine Gefühle sprechen kann, ist

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