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Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook

Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook

Titel: Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elif Shafak
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Gevher, Rumis verstorbene Frau. Na ja, ein Mensch ist sie genau genommen nicht, aber als Gespenst will ich sie auch nicht bezeichnen. Sie ist nicht so traumverloren und kühl wie die meisten anderen Geister, die ich getroffen habe, und seit dem Tag, an dem ich in dieses Haus kam, umströmt sie mich wie gemächlich dahinfließendes Wasser. Wir reden zwar über alles, aber in letzter Zeit nur über eines: Schams.
    »Rumi wirkt so verzweifelt, ich würde ihm gerne helfen«, sagte ich heute zu Gevher.
    »Vielleicht kannst du ihm wirklich helfen. Seit ein paar Tagen treibt ihn etwas um, worüber er bisher mit niemandem gesprochen hat«, erwiderte Gevher geheimnisvoll.
    »Was denn?«
    »Rumi glaubt, dass die Leute in Konya Schams weniger ablehnen würden, wenn er eine Ehefrau und eine Familie hätte. Dann, so meint er, gäbe es nicht so viel Getratsche, und Schams müsste nicht wieder fortgehen.«
    Mir blieb fast das Herz stehen. Schams sollte heiraten! Aber wen?
    Gevher sah mich von der Seite an und sagte: »Rumi überlegt, ob vielleicht du Schams heiraten möchtest.«
    Mir verschlug es die Sprache. Nicht, dass ich nicht schon ans Heiraten gedacht hätte. Ich war inzwischen fünfzehn und damit im heiratsfähigen Alter, aber ich wusste, dass sich Mädchen nach einer Hochzeit für immer verändern. Ihr Blick und ihr Verhalten ändern sich so sehr, dass die Menschen sie auf einmal ganz anders behandeln. Selbst kleine Kinder erkennen den Unterschied zwischen einer verheirateten und einer nicht verheirateten Frau.
    Gevher lächelte sanft und nahm meine Hand. Sie hatte gespürt, dass mich der Gedanke an die Ehe beunruhigte, nicht aber der Gedanke an eine Ehe mit Schams.
    Am Nachmittag des nächsten Tages wollte ich mit Rumi sprechen und traf ihn beim Lesen eines Buches mit dem Titel Tahafut al-tahafut an.
    »Was kann ich für dich tun, Kimya?«, fragte er liebevoll.
    »Als mich mein Vater zu dir brachte, sagtest du ihm, ein Mädchen könne deshalb nie ein so guter Schüler sein wie ein Junge, weil es irgendwann heiraten und Kinder großziehen müsse. Erinnerst du dich?«
    »Selbstverständlich.« Seine haselnussbraunen Augen blickten mich neugierig an.
    »Damals schwor ich mir, nie zu heiraten, damit ich immer deine Schülerin bleiben kann«, sagte ich, und meine Stimme wurde leiser und leiser unter der Last dessen, was ich ihm mitteilen wollte. »Aber vielleicht ist es ja möglich, zu heiraten, ohne dieses Haus zu verlassen. Ich meine, wenn ich jemanden heiraten würde, der hier wohnt …«
    »Soll das heißen, dass du Aladdin zum Mann nehmen möchtest?«
    »Aladdin?«, wiederholte ich erschrocken. Wie kam er nur darauf, ich könnte Aladdin heiraten wollen, der für mich wie ein Bruder war?
    Rumi spürte wohl, wie erstaunt ich war. »Aladdin kam vor einiger Zeit zu mir und bat mich um deine Hand.«
    Mir stockte der Atem. Ein Mädchen soll zwar in diesen Dingen nicht zu viele Fragen stellen, aber ich brannte darauf, mehr zu erfahren. »Und was hast du ihm gesagt, Meister?«
    »Ich habe ihm gesagt, dass ich zuerst dich fragen müsse.«
    »Meister …« Meine Stimme erstarb fast. »Ich bin gekommen, um dir mitzuteilen, dass ich Schams-e Tabrizis Frau werden möchte.«
    Rumi bedachte mich mit einem nahezu fassungslosen Blick. »Bist du dir wirklich sicher?«
    »Es hätte mehrere Vorteile«, erklärte ich, hin- und hergerissen zwischen dem Bedürfnis, mehr zu sagen, und dem Bedauern darüber, schon zu viel gesagt zu haben. »Dann würde Schams zur Familie gehören und müsste nie mehr fortgehen.«
    »Deshalb willst du ihn heiraten? Damit er hierbleiben kann?«
    »Nein. Das heißt, doch, aber nicht nur deshalb … Ich glaube, Schams ist mein Schicksal.«
    Deutlicher konnte ich nicht in Worte fassen, dass ich Schams-e Tabrizi liebte.
    Kira war die Erste, die von den Hochzeitsplänen erfuhr. Verblüfft schweigend angesichts der Neuigkeit schenkte sie mir nur ein schmerzliches Lächeln, aber als wir dann endlich allein im Haus waren, begann sie mir Fragen zu stellen. »Willst du das wirklich? Tust du es nicht nur, um Rumi zu helfen? Du bist so jung! Solltest du nicht einen Mann heiraten, der von seinem Alter her besser zu dir passt?«
    »Schams sagt, in der Liebe verschwimmen alle Grenzen.«
    Kira stieß einen tiefen Seufzer aus. »Wenn es doch nur so einfach wäre, liebes Kind«, sagte sie und schob eine graue Haarsträhne unter das Kopftuch zurück. »Schams ist ein Wanderderwisch, ein unruhiger Mensch. Männer wie er sind das

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