Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook
in einer Unterkunft einzumieten, in der die Handtücher täglich gewechselt wurden und andere das Frühstück machten. Das Hotelzimmer fühlte sich an wie ein unbekanntes Land. Und vielleicht war es das ja auch. Schon verspürte sie das Gefühl von Freiheit und Leichtsinn, das man nur in einer fremden Stadt hat, in der einen kein Mensch kennt.
Doch kaum hatte sie das Zimmer betreten, war ihre Nervosität wieder da. Die Einrichtung konnte noch so geschmackvoll, der Raum noch so groß sein – das riesige Bett in der Mitte war nun einmal nicht zu übersehen. Es bereitete ihr Unbehagen und Schuldgefühle, neben diesem Bett zu stehen. Im Stillen begann sie mit ihren Fragen zu ringen, aber das führte zu nichts. Würden sie jetzt miteinander schlafen? Sollten sie es wirklich tun? Und wenn ja, wie sollte sie hinterher ihrem Mann noch in die Augen schauen können? Andererseits hatte David trotz seiner zahlreichen Affären nie ein Problem damit, ihr in die Augen zu schauen. Und was würde Aziz von ihrem Körper halten? Was, wenn er ihm nicht gefiel? Sollte sie jetzt nicht besser an ihre Kinder denken? Sich fragen, ob sie zu dieser späten Stunde schon schliefen oder noch vor dem Fernseher saßen? Würden ihre Kinder ihr je verzeihen, wenn sie erführen, was sie im Begriff war zu tun?
Aziz spürte ihre Besorgnis. Er nahm ihre Hand und führte sie zu einem Sessel in der Ecke, weg vom Bett.
»Ganz ruhig«, flüsterte er. »In deinem Kopf tut sich zu viel. Zu viele Stimmen.«
»Hätten wir uns doch nur früher kennengelernt«, hörte sich Ella sagen.
»Es gibt kein Früh oder Spät im Leben«, sagte Aziz. »Alles geschieht zur rechten Zeit.«
»Glaubst du das wirklich?«
Er lächelte und strich sich eine Locke aus den Augen. Dann öffnete er einen Koffer und holte den Wandteppich, den er in Guatemala gekauft hatte, und eine kleine Schachtel heraus. Sie enthielt eine Halskette aus Türkisen und roten Korallenperlen mit einem tanzenden Derwisch aus Silber als Anhänger.
Ella ließ sich die Kette um den Hals legen. Aziz’ Finger auf ihrer Haut fühlten sich warm an. »Wirst du mich lieben können?«, fragte sie ihn.
»Ich liebe dich schon jetzt.« Er lächelte.
»Aber du kennst mich überhaupt nicht!«
»Ich muss nichts kennen, um es zu lieben.«
Ella seufzte. »Das ist total verrückt.«
Aziz griff an ihren Hinterkopf, zog die Nadel aus ihrem Dutt und ließ ihr Haar herabfallen. Dann legte er Ella sanft aufs Bett. Sehr langsam, sehr zärtlich strich er in immer größeren Kreisbewegungen mit den Handinnenflächen von ihren Füßen zu den Knöcheln und von dort zum Nabel hinauf. Dabei murmelte er ununterbrochen etwas, das in Ellas Ohren wie ein uralter magischer Spruch klang. Und plötzlich verstand sie, was er tat. Er betete. Während seine Hände jede Stelle ihres Körpers liebkosten, hielt er die Augen fest geschlossen, und seine Lippen beteten für sie. Etwas so Spirituelles hatte sie noch nie erlebt. Und obwohl sie angezogen blieb – und er auch – und obwohl es nichts Geschlechtliches hatte, hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nie so viel Lust empfunden.
Schlagartig durchströmte sie eine merkwürdige Energie, und alles begann zu prickeln – ihre Hände, ihre Ellbogen und Schultern, ihr ganzer Körper. Sie fühlte sich von einem so überwältigenden Verlangen ergriffen, dass sie glaubte, auf warmen Wellen zu schweben und sich nur noch lächelnd hingeben zu können. Sie nahm eine lebendige Präsenz um ihn herum wahr und dann auch um sich selbst, als wären sie beide in einen Nebel aus Licht getaucht.
Jetzt schloss auch sie die Augen und ließ sich von einem reißenden Fluss davontragen, ohne sich irgendwo festzuhalten. Mochte am Ende auch ein Wasserfall sein – sie hätte nicht aufhören wollen, selbst wenn es möglich gewesen wäre.
Als seine Hände ihren Bauch erreicht hatten und dort über die Haut kreisten, spürte Ella ein Brennen zwischen den Beinen. Sie empfand Unsicherheit wegen ihres Körpers, wegen ihrer Hüften und Schenkel und der Form ihrer Brüste, die nach drei Kindern und den vielen Jahren alles andere als perfekt waren, aber ihre Angst verlor sich wieder. Sie fühlte sich beschwingt, ja fast geborgen, und Glückseligkeit überkam sie. Und mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass sie diesen Mann lieben könnte. Sie könnte ihn unendlich lieben.
Mit diesem Gefühl legte sie den Arm um Aziz und zog ihn zu sich. Sie war jetzt bereit, weiterzugehen. Er aber öffnete die Augen, gab ihr einen Kuss
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