Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook
Stirn. Erst eine halbe Ewigkeit später schlug er die Lider auf. Er zog mich zu sich hinunter und gab mir einen zärtlichen Kuss. Das war der köstlichste Moment, den wir je zusammen hatten. Aber dabei blieb es dann auch. Bis heute ist sein Leib für mich ein ebenso unerforschtes Land wie mein Leib für ihn.
Während der sieben Monate war auch ich einige Male in seinem Zimmer. Doch immer wenn ich ihn unangekündigt besuche, krampft sich mein Herz vor Angst zusammen, denn ich weiß nie, wie er mich empfangen wird. Schams’ Stimmung lässt sich nicht vorhersagen. Manchmal ist er so herzlich und liebevoll, dass ich all meinen Kummer vergesse, aber er kann auch sehr mürrisch sein. Einmal schlug er mir die Tür vor der Nase zu und brüllte, er wolle allein sein. Ich habe gelernt, mich davon nicht kränken zu lassen, genauso wie ich gelernt habe, ihn nicht zu stören, solange er tief ins Meditieren versunken ist.
Nach der Hochzeit gab ich monatelang vor, glücklich zu sein – vielleicht gar nicht einmal den anderen, sondern mir selbst gegenüber. Ich zwang mich dazu, Schams nicht als einen Ehemann zu sehen, sondern als fast alles andere: als Freund, Seelenverwandten, Meister, Gefährten, ja selbst als einen Sohn. Es hing vom Tag ab und von seiner Stimmung, als wen ich ihn betrachtete, in welche Verkleidung ich ihn in meiner Fantasie steckte.
Eine Weile ging es gut. Ich hegte keine übertriebenen Erwartungen, sondern begann mich auf unsere Gespräche zu freuen. Es machte mich froh, dass er meine Gedanken wertschätzte und mich ermunterte, noch schöpferischer zu denken. Ich lernte so viel von ihm, und mit der Zeit begriff ich, dass umgekehrt auch ich ihn etwas lehren konnte – die Freuden des Familienlebens beispielsweise, die er zuvor ja nicht gekannt hatte. Bis heute glaube ich, dass ich ihn so zum Lachen bringen kann wie sonst niemand.
Aber es war nicht genug. Was immer ich tat, nie verschwand der Gedanke, dass er mich nicht liebte. Er mochte mich und war mir wohlgesinnt, das wusste ich. Es reichte jedoch nicht im Geringsten an Liebe heran. Und dieser Gedanke quälte mich, verzehrte mich, nagte an meinem Körper und an meiner Seele. Ich sonderte mich von den Menschen um mich herum ab, von den Freundinnen wie von den Nachbarinnen. Ich saß lieber in meinem Zimmer und sprach mit den Toten. Denn anders als die Lebenden urteilen die Toten nicht schlecht über andere.
Außer den Toten hatte ich nur eine Gefährtin: Wüstenrose.
Uns einte das Bedürfnis, die Menschen zu meiden, und wir waren gute Freundinnen geworden. Auch sie hängt jetzt der Sufi-Lehre an und führt nach ihrer Flucht aus dem Bordell ein Einsiedlerleben. Einmal sagte ich ihr, wie sehr ich sie um ihren Mut und ihre Entschlossenheit beneide, ein neues Leben zu beginnen.
Da schüttelte sie den Kopf und erwiderte: »Ich habe kein neues Leben begonnen. Ich bin einfach nur vor dem Tod gestorben.«
Heute ging ich aus einem völlig anderen Grund zu Wüstenrose. Eigentlich wollte ich die Fassung wahren und ganz ruhig mit ihr reden, aber kaum hatte ich ihr Zimmer betreten, musste ich schon das Schluchzen unterdrücken.
»Was ist denn, Kimya?«, fragte sie.
»Es geht mir nicht gut«, gab ich zu. »Ich glaube, ich brauche deine Hilfe.«
»Ja, gern. Was kann ich für dich tun?«
»Es geht um Schams … Er meidet meine Nähe … Also, du weißt schon …«, stammelte ich und schaffte es mit Müh und Not, den Satz zu Ende zu bringen. »Ich möchte, dass er mich verführerisch findet, und du sollst es mir beibringen.«
Wüstenrose stieß einen leisen Seufzer aus. »Ich habe einen Eid geschworen, Kimya«, sagte sie mit einem matten Unterton. »Ich habe Gott gelobt, rein zu bleiben und nicht einmal mehr daran zu denken, wie Frauen Männern Lust bereiten können.«
»Aber du musst deinen Eid nicht brechen – du musst mir nur helfen«, flehte ich sie an. »Ich muss unbedingt lernen, Schams glücklich zu machen.«
»Schams ist ein Erleuchteter«, sagte Wüstenrose so leise, als hätte sie Angst, belauscht zu werden. »Ich glaube nicht, dass du dich ihm auf diese Weise nähern solltest.«
»Aber er ist ein Mann, oder etwa nicht? Sind denn nicht alle Männer Söhne Adams und an das Fleisch gebunden? Erleuchtet oder nicht, uns allen wurde ein Leib geschenkt. Selbst Schams hat einen Leib, nicht wahr?«
»Ja, aber …« Wüstenrose griff nach ihrem Tasbih, berührte mit den Fingern eine Perle nach der anderen und neigte gedankenversunken den Kopf.
»Ich bitte
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