Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook
auf die Nasenspitze und richtete sich auf.
»Willst du mich nicht?«, fragte Ella und war bestürzt darüber, wie zerbrechlich ihre Stimme klang.
»Ich will nichts tun, worüber du hinterher unglücklich wärst.«
Sie hätte am liebsten drauflosgeweint, und gleichzeitig war sie erleichtert. Eine seltsame Unbeschwertheit ergriff sie. Sie war völlig durcheinander, aber zu ihrem großen Erstaunen empfand sie es ausnahmsweise als ganz in Ordnung, durcheinander zu sein.
Morgens um halb zwei schloss Ella die Tür ihres Bostoner Apartments auf. Sie legte sich auf die Ledercouch, denn im Schlafzimmerbett wollte sie nicht schlafen. Nicht weil sie wusste, dass ihr Mann darin andere Frauen gehabt hatte, sondern einfach, weil es sich besser anfühlte, so als gehörte ihr diese Wohnung genauso wenig wie ein Hotelzimmer, so als wäre sie nur ein Gast und ihr wahres Selbst wartete anderswo.
SCHAMS
KONYA, MAI 1247
Braut, Schöne du, trockne die Tränen,
Nimm Abschied von Mutter und Vater.
Morgen hörst du die Vögel singen,
Doch es wird nie mehr dasselbe sein …
In unserer Hochzeitsnacht schlich ich mich in den Hof hinaus und blieb dort eine Zeit lang sitzen, um einem alten anatolischen Lied zu lauschen, das zwischen all den vielen anderen Lauten aus dem Haus drang. Gelächter, Musik, Stimmengewirr. Im Frauenraum spielten Musikantinnen. Ich saß da, dachte nach und summte mit, fröstelte und fühlte mich im gleichen Moment wie betäubt. Ich grübelte über den Text des Liedes. Warum sangen die Frauen in den Hochzeitsnächten immer nur traurige Lieder? Für die Sufis gab es eine Verbindung zwischen Hochzeit und Tod, und den Tag ihres Sterbens feierten sie als die Vereinigung mit Gott. Auch die Frauen verbanden die Hochzeit mit dem Tod, aber aus ganz anderen Gründen. Selbst wenn sie gern heirateten, senkte sich ein Schatten der Traurigkeit auf sie. Bei jeder Hochzeitsfeier wurde auch um die Jungfrau getrauert, die jetzt Ehefrau werden und bald Mutter sein würde.
Als die Gäste gegangen waren, kehrte ich ins Haus zurück und meditierte in einer stillen Ecke. Dann betrat ich das Zimmer, in dem Kimya auf mich wartete. Sie saß in einem weißen, mit Goldfäden durchwirkten Gewand auf dem Bett. Ihr Haar war zu vielen kleinen, mit Perlen verzierten Zöpfen geflochten. Ihr Gesicht konnte ich nicht sehen, es war mit einem roten Schleier verhüllt. Im Zimmer herrschte fast völliges Dunkel, nur am Fenster flackerte eine Kerze. Der Wandspiegel war mit einem Samttuch verhängt, denn angeblich brachte es Unglück, wenn die Braut in der Hochzeitsnacht ihr Spiegelbild sah. Neben unserem Bett lagen ein Granatapfel und ein Messer. Wir würden die Frucht essen, um so viele Kinder zu bekommen, wie sie Samenkörner enthielt.
Kira hatte mir alles über die Gebräuche in Konya erzählt und mich dazu angehalten, der Braut eine Kette mit Goldmünzen zu schenken, sobald ich ihren Schleier gelüftet hätte. Aber ich hatte nie auch nur eine Goldmünze besessen und wollte meiner Braut keine geborgten Münzen zum Gruß darbringen. Deshalb schenkte ich Kimya, nachdem ich ihren Schleier zurückgeschlagen hatte, einen Perlmuttkamm und gab ihr einen zarten Kuss auf den Mund. Sie lächelte, und einen Augenblick lang war ich verlegen wie ein dummer kleiner Junge.
»Du bist wunderschön«, sagte ich.
Sie errötete. Doch dann straffte sie die Schultern und gab sich Mühe, ruhiger und reifer zu wirken, als sie jemals wirklich sein würde.
»Ich bin jetzt deine Frau.«
Sie deutete auf den prächtigen Teppich am Boden, den sie mit großer Sorgfalt als Teil ihrer Aussteuer geknüpft hatte. Leuchtende Farben, scharfe Kontraste. Ich erkannte auf den ersten Blick, dass jeder Knoten, jedes Muster dieses Teppichs von mir sprach. Kimya hatte ihre Träume gewebt.
Ich küsste sie noch einmal. Ihre warmen Lippen sandten Wellen der Begierde durch meine Adern. Sie duftete nach Wildblumen und nach Jasmin. Ich streckte mich neben ihr aus, atmete ihren Duft ein und berührte ihre kleinen, festen Brüste. Ich wollte nichts mehr, als in sie eindringen und mich in ihr verlieren. Sie bot sich mir dar, wie eine Rosenblüte sich dem Regen öffnet.
Ich richtete mich auf. »Verzeih mir, Kimya, ich kann es nicht tun.«
Starr sah sie mich an und sprachlos; ihr Atem stockte. Die Enttäuschung in ihren Augen bereitete mir Pein. Ich sprang auf.
»Ich muss fort«, sagte ich.
»Du kannst jetzt nicht weg«, erwiderte sie mit einer Stimme, die völlig anders klang als sonst.
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