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Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook

Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook

Titel: Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elif Shafak
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brennende Frau. Wie eine Frau, die gewillt ist, für den geliebten Mann einen mutigen Schritt zu tun und auch, im schlimmsten Fall, den Preis dafür zu zahlen. Als ich so vor ihr stand und sie betrachtete, fiel mir die Sure im Heiligen Koran ein, in der die Geschichte von Joseph und Suleika erzählt wird.
    Genau wie Kimya verzehrte Suleika sich vor Sehnsucht nach einem Mann, der nicht auf ihr Werben einging. Als die Damen der Stadt darüber boshaft tratschten, lud Suleika sie alle zu einem Festmahl ein und gab einer jeden von ihnen ein Messer und sagte zu Joseph: Komm heraus! Als sie ihn sahen, bestaunten sie ihn und schnitten sich dabei in die Hände und sagten: »Allah bewahre! Das ist kein Mensch, das ist nichts als ein edler Engel.«
    Wer konnte da Suleika wegen ihres Verlangens nach Joseph noch tadeln?
    »Wie sehe ich aus?«, fragte Kimya zaghaft, bevor sie den Schleier fallen ließ, um auf die Straße zu treten.
    »Ganz zauberhaft«, antwortete ich. »Dein Mann wird nicht nur heute Nacht das Lager mit dir teilen, sondern dich morgen um mehr bitten.«
    Kimyas Wangen färbten sich dunkelrot. Da musste ich lachen, und nach kurzem Schweigen fiel sie in mein Lachen ein, und mir wurde warm wie von der Sonne.
    Ich hatte es ehrlich gemeint, denn ich war sicher, dass sie für Schams so anziehend sein würde wie eine Blüte voll Nektar für eine Biene. Doch als sich, kurz bevor sie die Tür öffnete, unsere Blicke trafen, sah ich den Anflug eines Zweifels in ihren Augen, und mich befiel ein ungutes Gefühl, fast schon eine Vorahnung des Schrecklichen, das dann geschah.
    Aber ich hielt sie nicht auf. Ich hätte es besser wissen müssen. Ich hätte es kommen sehen müssen. Ich werde es mir, solange ich lebe, nicht verzeihen.

KIMYA
    KONYA, DEZEMBER 1247
    B eschlagen in Liebesdingen ist Schams-e Tabrizi sehr wohl. Womit er sich aber nicht auskennt, das ist die Qual der unerwiderten Liebe.
    Als Wüstenrose mich an jenem Abend ankleidete, war ich so aufgeregt und fühlte mich so wagemutig, wie ich es gar nicht von mir kannte. Das leise raschelnde Seidengewand, der Duft des Parfüms, der Geschmack der Rosenblüten auf meiner Zunge – das alles machte mich ein kleines bisschen verlegen, aber auch unglaublich kühn. Zu Hause erhaschte ich in einer Glasscheibe einen Blick auf mein Spiegelbild. Mein Körper war zwar weder rundlich noch milchweiß und mein Busen nicht so üppig, wie ich es mir gewünscht hätte, aber ich fand mich trotzdem hübsch.
    Ich blieb in meinem Zimmer, bis ich sicher sein konnte, dass alle im Haus schliefen. Dann hüllte ich mich in ein langes, dickes Schultertuch und schlich auf Zehenspitzen zu Schams.
    »Ich habe dich nicht erwartet, Kimya«, sagte er, als ich die Tür öffnete.
    »Ich muss einfach zu dir«, sagte ich und trat ein, ohne auf seine Erlaubnis zu warten. »Würdest du bitte die Tür schließen?«
    Schams blickte verwundert drein, tat aber, wozu ich ihn aufgefordert hatte.
    Mit ihm allein im Zimmer brauchte ich einen Moment, um all meinen Mut zusammenzunehmen. Ich wandte ihm den Rücken zu, atmete tief durch; dann warf ich in einer einzigen raschen Bewegung das Tuch ab und ließ den Mantel und das Gewand an mir hinabgleiten. Fast augenblicklich spürte ich am ganzen Körper das Gewicht des Blicks, den mein erstaunter Mann auf mich warf. Jede Stelle, auf die dieser Blick fiel, fühlte sich warm an. Aber diese Wärme, ob sie nun wirklich da war oder ich sie mir in meiner Aufregung nur einbildete, wich gleich darauf der Kälte des Schweigens, das nun eintrat. Meine Brust hob und senkte sich vor Angst, denn ich bot mich Schams so nackt und einladend, wie man es von den Huris im Paradies behauptet.
    In dieser bedeutungsschwangeren Stille standen wir eine Weile voreinander und lauschten dem Wind, der draußen durch die Stadt tobte als heulender Klagegesang.
    »Was soll das?«, fragte er kühl.
    Es gelang mir kaum, meine Sprache wiederzufinden, aber ich brachte es über mich und sagte: »Ich will dich.«
    Schams-e Tabrizi beschrieb einen Halbkreis um mich, blieb dann vor mir stehen und zwang mich, ihm in die Augen zu sehen. Meine Knie wurden weich, aber ich hielt mich auf den Beinen. Ich tat einen Schritt auf ihn zu und drückte mich an ihn, wand mich an ihm, bot ihm meine Wärme an, so wie Wüstenrose es mir beigebracht hatte. Ich liebkoste seine Brust und flüsterte zarte Liebesworte. Ich fuhr mit den Fingern an seinem kräftigen Rücken auf und ab und sog seinen Duft ein.
    Schams zuckte zusammen,

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