Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook

Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook

Titel: Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elif Shafak
Vom Netzwerk:
einen neuen Vertrag fürs Leben! Sie haben eine glückverheißende Zahl von Jahren erreicht. Herzlichen Glückwunsch! Und fürchten Sie sich nicht vor dem Alter! Keine Falte und kein graues Haar ist stark genug, um gegen die Macht der 40 anzukommen!
    Herzlich
    Aziz

DIE HURE WÜSTENROSE
    KONYA, 17. OKTOBER 1244
    B ordelle gibt es seit Anbeginn der Welt. Und deshalb auch Frauen wie mich. Aber eines verstehe ich nicht: Warum sagen die Leute, es wäre schlimm, dass sich Frauen verkaufen, machen es dann aber denen, die es bereuen und ein neues Leben beginnen wollen, so schwer? Das kommt mir so vor, als würden sie uns zwar bemitleiden, weil wir so tief gesunken sind, aber da es nun mal so ist, sollten wir gefälligst für immer so bleiben. Ich verstehe es einfach nicht. Ich weiß nur, dass manche Leute vom Elend anderer leben und es nicht mögen, wenn es einen elenden Menschen weniger auf der Welt gibt. Doch einerlei, was sie sagen oder tun, eines Tages werde ich dieses Haus verlassen.
    Heute Morgen wachte ich auf und verspürte den sehnlichen Wunsch, den großen Rumi predigen zu hören. Hätte ich das dem Wirt erzählt und um Erlaubnis gefragt, hätte er mich ausgelacht. »Seit wann gehen Huren in die Moschee?«, hätte er gefragt und so gelacht, dass sein rundes Gesicht rot angelaufen wäre.
    Deshalb habe ich ihn angelogen. Nachdem der kahle Derwisch gegangen war, wirkte der Hermaphrodit so durcheinander, dass ich das Gefühl hatte, genau jetzt mit ihm reden zu können. Wenn er abgelenkt ist, kommt man besser an ihn heran. Ich sagte ihm, ich müsse zum Basar, um ein paar Sachen zu besorgen, und er glaubte mir. Nachdem ich nun schon neun Jahre wie ein Pferd für ihn schufte, glaubt er mir endlich.
    »Aber nur unter der Bedingung, dass Sesam mitkommt!«, sagte er.
    Das war mir nur recht. Ich mochte Sesam. Groß und schwer wie ein Bulle und mit nicht mehr Verstand als ein Kind, ist er verlässlich und ehrlich bis zur Einfältigkeit. Wie er in dieser grausamen Welt überleben konnte, ist mir schleierhaft. Seinen wirklichen Namen kannte niemand, vielleicht nicht einmal er selbst. Wir hatten ihm diesen Namen gegeben, weil er so unglaublich gern Sesam-Halva aß. Wenn eine von uns aus dem Bordell in die Stadt musste, begleitete er sie wie ein stiller Schatten. Ich konnte mir keinen besseren Beschützer denken.
    Wir schlugen die staubige Straße durch die Obstgärten ein. An der ersten Kreuzung bat ich Sesam, auf mich zu warten, und verschwand hinter einem Strauch, in dem ich eine Tasche mit Männerkleidung versteckt hatte.
    Mich als Mann zu verkleiden war schwieriger als erwartet. Ich wickelte mir lange Tücher um die Brust, um sie flach zu pressen. Dann stieg ich in eine ausgebeulte Hose, zog ein baumwollenes Unterhemd und ein langes weinrotes Gewand an und setzte mir einen Turban auf. Zum Schluss verhüllte ich mein Gesicht zur Hälfte mit einem Tuch und hoffte, als ein arabischer Reisender durchzugehen.
    Als ich zu Sesam zurückkam, zuckte er verdutzt zusammen.
    »Los jetzt«, drängte ich ihn, und als er sich nicht rührte, zeigte ich ihm mein Gesicht. »Hast du mich wirklich nicht erkannt?«
    »Bist du das, Wüstenrose?«, rief er und schlug wie ein erschrockenes Kind die Hand vor den Mund. »Warum hast du dich so verkleidet?«
    »Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?«
    Sesam nickte. Seine Augen weiteten sich vor Neugier.
    »Gut«, flüsterte ich. »Wir gehen in eine Moschee. Aber das darfst du dem Wirt nie verraten.«
    Sesams Unterlippe zitterte. »Wir wollten doch in den Basar!«
    »Ja, später. Jetzt hören wir uns erst einmal den großen Rumi an.«
    Sesam bekam es mit der Angst. Ich hatte es nicht anders erwartet. Einen Plan einfach umzustoßen verstörte ihn. »Bitte, Sesam, es ist sehr wichtig für mich«, flehte ich ihn an. »Wenn du mitmachst und versprichst, dass du niemandem davon erzählst, kaufe ich dir ein riesiges Stück Halva.«
    »Halva.« Er schnalzte vor Freude mit der Zunge, als hätte schon allein das Wort einen süßen Geschmack in seinem Mund hinterlassen.
    So machten wir uns beide in süßer Erwartung auf den Weg zu der Moschee, in der Rumi predigen würde.
    Ich kam in einem kleinen Dorf in der Nähe von Nicäa zur Welt. Meine Mutter sagte immer: »Du bist zwar am richtigen Ort, aber leider unter dem falschen Stern geboren.« Es waren schlechte Zeiten, in denen man nie wissen konnte, was einem als Nächstes ins Haus stand. Von einem Jahr zum anderen veränderte sich alles. Erst gab es

Weitere Kostenlose Bücher