Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook
Gerüchte, die Kreuzritter würden zurückkommen. Wir hörten schreckliche Geschichten über ihre Gräueltaten in Konstantinopel, wo sie vornehme Häuser geplündert und die Heiligenbilder in den Kirchen und Kapellen zerstört hatten. Dann hörten wir von den Angriffen der Seldschuken. Und noch bevor die Schreckensberichte über das Seldschukenheer verklungen waren, tauchten die ersten Geschichten über die erbarmungslosen Mongolen auf. Der Name und das Gesicht des Feindes änderten sich, aber die Angst vor der Vernichtung durch Fremde blieb so beharrlich wie der Schnee im Ida-Gebirge.
Meine Eltern waren Bäcker und gute Christen. Zu meinen frühesten Erinnerungen zählt der Duft des frisch aus dem Ofen geholten Brotes. Wir waren nicht reich. Das wusste ich schon als Kind. Aber arm waren wir auch nicht. Ich hatte den starren Blick der Armen gesehen, wenn sie in der Bäckerei um Brotkrumen bettelten. Jeden Abend bedankte ich mich vor dem Einschlafen beim lieben Gott dafür, dass er mich nicht hungrig ins Bett gehen ließ. Für mich war das, als unterhielte ich mich mit einem Freund. Denn damals war Gott mein Freund.
Als ich sieben war, wurde meine Mutter schwanger. Im Nachhinein glaube ich, dass sie zuvor schon mehrere ungeborene Kinder verloren hatte, aber damals wusste ich von solchen Dingen nichts. Ich war so unschuldig, dass ich, auf die Frage, woher die Kinder kämen, geantwortet hätte, Gott würde sie aus weichem, süßem Teig kneten.
Aber das Brotkind, das Gott für meine Mutter geknetet hatte, muss riesig gewesen sein, denn schon bald wölbte sich ihr Bauch und wurde rund und prall. Meine Mutter war so dick geworden, dass sie sich kaum mehr bewegen konnte. Die Hebamme meinte, sie habe Wasser im Körper, aber das klang in meinen Ohren nicht gefährlich.
Weder meine Mutter noch die Hebamme wussten, dass in diesem Bauch nicht ein, sondern drei Babys lagen. Drei Jungen. Meine Brüder hatten sich im Körper meiner Mutter regelrecht bekriegt. Einer der Drillinge hatte seinen Bruder mit der Nabelschnur erdrosselt, und wie um sich zu rächen, blockierte das tote Kind den Weg ans Licht der Welt, sodass die anderen nicht hinauskonnten. Vier Tage lang lag meine Mutter in den Wehen. Tag und Nacht hörten wir ihre Schreie, bis wir plötzlich gar nichts mehr hörten.
Die Hebamme hatte meine Mutter nicht retten können; so tat sie ihr Bestes, um meine Brüder zu retten. Sie nahm eine Schere und schnitt den Bauch meiner Mutter auf. Doch nur ein Kind überlebte. So wurde mein Bruder geboren. Mein Vater verzieh ihm nie und nahm auch nicht an seiner Taufe teil.
Nach dem Tod meiner Mutter wurde mein Vater zu einem mürrischen Mann voller Bitterkeit. Nichts war mehr wie zuvor. Innerhalb kürzester Zeit ging es mit der Bäckerei bergab. Wir verloren unsere Kundschaft. Vor lauter Angst, eines Tages arm zu sein und betteln zu müssen, begann ich, Brötchen unter meinem Bett zu verstecken, wo sie vertrockneten und altbacken wurden. Aber der eigentlich Leidtragende war mein Bruder. Ich war wenigstens einmal geliebt und umsorgt worden. Ihm wurde das nie zuteil. Es brach mir das Herz, wenn ich mitansah, wie er misshandelt wurde, aber ich empfand auch Erleichterung, ja Dankbarkeit, weil nicht ich zur Zielscheibe der väterlichen Wut geworden war. Ich wünschte, ich hätte meinen Bruder beschützt. Dann wäre alles anders gekommen, und ich müsste heute nicht in einem Bordell in Konya arbeiten. Das Leben ist so seltsam.
Nach einem Jahr heiratete mein Vater wieder. Für meinen Bruder brachte das nur den Unterschied mit sich, nicht, wie zuvor von meinem Vater, sondern jetzt von meinem Vater und von dessen neuer Frau schlecht behandelt zu werden. Mehrmals lief er von zu Hause weg und kam mit den übelsten Angewohnheiten und mit falschen Freunden zurück. Eines Tages schlug mein Vater ihn so heftig, dass er beinahe starb. Nach diesem Vorfall veränderte sich der Junge. Sein Blick wurde kalt und grausam. Ich spürte, dass er etwas ausheckte, aber ich hätte mir nicht träumen lassen, dass es ein so grauenhafter Plan war. Hätte ich es doch nur gewusst! Ich hätte die Tragödie so gern verhindert.
Denn eines Frühlingsmorgens wurden mein Vater und meine Stiefmutter tot aufgefunden, ermordet mit Rattengift. Sobald sich das Geschehen herumgesprochen hatte, verdächtigten alle meinen Bruder. Als die Wachleute ihm Fragen zu stellen begannen, lief er in panischer Angst davon. Ich sah ihn nie wieder. So war ich auf einmal ganz allein auf der
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