Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook
Welt. Ich hielt es nicht mehr aus daheim, wo ich noch den Duft meiner Mutter roch, konnte nicht mehr in der Bäckerei arbeiten, wo mich quälende Erinnerungen verfolgten, und so beschloss ich, nach Konstantinopel zu gehen und bei einer ältlichen, unverheirateten Tante, meiner jetzt engsten Verwandten, zu leben. Ich war dreizehn Jahre alt.
In einem Karren machte ich mich auf nach Konstantinopel. Ich war die jüngste Reisende und als Einzige allein unterwegs. Nach einigen Stunden Fahrt wurden wir von einer Räuberbande angehalten. Sie nahmen alles – Koffer, Kleider, Stiefel, Gürtel und Schmuck, sogar die Würste des Fahrers. Da ich nichts besaß, was sie mir hätten rauben können, blieb ich still an der Seite stehen und war mir sicher, dass sie mir nichts antun würden. Aber als sie sich schon zum Gehen wandten, drehte sich der Räuberhauptmann zu mir um und sagte: »Na, du hübsches kleines Ding, bist du noch Jungfrau?«
Ich wurde rot und weigerte mich, eine so unanständige Frage zu beantworten. Ich konnte ja nicht wissen, dass mein Erröten genau die Antwort war, die er wollte.
»Los!«, rief der Anführer. »Nehmt die Pferde und das Mädchen mit!«
Ich wehrte mich unter Tränen, aber keiner der anderen Fahrgäste rührte auch nur einen Finger, um mir zu helfen. Die Räuber brachten mich in einen dichten, dunklen Wald, wo sie erstaunlicherweise ein ganzes Dorf errichtet hatten. Es lebten dort Frauen und Kinder, überall liefen Enten, Ziegen und Schweine herum – ein idyllisches Dorf, bewohnt von Verbrechern.
Schon bald wurde mir klar, warum der Räuberhauptmann mich nach meiner Jungfräulichkeit gefragt hatte. Der Dorfälteste war an einem schweren Nervenfieber erkrankt. Er lag schon lange mit roten Flecken am ganzen Körper im Bett und hatte vergebens mehrere Behandlungen über sich ergehen lassen. Erst kurz zuvor hatte ihn jemand davon überzeugt, dass er mit einer Jungfrau schlafen müsse, dann würde die Krankheit auf sie übergehen und er wäre rein und geheilt.
Es gibt einiges in meinem Leben, an das ich nicht zurückdenken will. Die Zeit im Wald gehört dazu. Noch heute sehe ich, wenn ich an den Wald denke, die Kiefern vor mir, nur die Kiefern. Ich saß lieber allein unter den Bäumen als bei den Frauen im Dorf, denn die meisten von ihnen waren Frauen oder Töchter der Räuber. Außerdem gab es mehrere Huren, die freiwillig dorthin gekommen waren. Ich konnte beim besten Willen nicht verstehen, warum sie nicht fortliefen. Ich dagegen war zur Flucht entschlossen.
Den Wald durchquerten hin und wieder Karren, die fast alle irgendwelchen vornehmen Familien gehörten. Es war mir ein Rätsel, warum sie nicht ausgeraubt wurden – bis mir aufging, dass einige Fahrer die Räuber vor der Fahrt durch den Wald bestachen, um unbehelligt passieren zu können. Nachdem ich herausgefunden hatte, wie es ablief, traf ich meinerseits eine Vereinbarung. Ich hielt einen Karren an, der in Richtung der großen Stadt fuhr, und bat den Karrenlenker inständig, mich mitzunehmen. Doch er forderte Geld, wohl wissend, dass ich keines besaß. Da bezahlte ich auf die einzige Art, die mir möglich war.
Erst lange nach meiner Ankunft in Konstantinopel verstand ich, warum die Huren im Wald nicht wegliefen: In der Stadt war es noch schlimmer. Es war gnadenlos. Zu meiner alten Tante ging ich gar nicht erst. Ich wusste, dass die anständige Dame mich gefallenes Mädchen niemals aufnehmen würde. Nun war ich ganz auf mich allein gestellt. Die Stadt brauchte nicht lange, um meine Seele zu zermalmen und meinen Körper zu ruinieren. Plötzlich befand ich mich in einer völlig anderen Welt – in einer Welt voller Niedertracht, Vergewaltigung, Grobheit und Siechtum. Eine Leibesfrucht nach der anderen ließ ich töten, bis es schließlich so schlimm um mich stand, dass mein Monatsfluss aussetzte und ich für immer unfruchtbar war.
In diesen Straßen sah ich Dinge, für die es keine Worte gibt. Nachdem ich die Stadt verlassen hatte, reiste ich mit Soldaten, Gauklern und Zigeunern umher und befriedigte die Bedürfnisse aller. Dann entdeckte mich ein Mann namens Schakalkopf und brachte mich in das Bordell in Konya. Dem Wirt war es eins, woher ich kam, solange ich nur ansehnlich war und nicht krank. Zu seiner großen Freude erfuhr er, dass ich keine Kinder bekommen konnte und ihm da keine Scherereien machen würde. Meiner Unfruchtbarkeit wegen nannte er mich »Wüste« und hängte, um den Namen ein bisschen zu verschönern, das Wort »Rose«
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