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Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook

Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook

Titel: Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elif Shafak
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vergessen. Hatten Sie denn schon Gelegenheit, einen Blick in das Manuskript zu werfen?«
    »Oh.« Ella seufzte. Erst jetzt fiel ihr wieder ein, was noch auf sie wartete.
    Ihr erster Auftrag von der Literaturagentur bestand darin, den Roman eines unbekannten europäischen Autors zu lesen und ein ausführliches Gutachten zu verfassen.
    »Sagen Sie ihm, er soll sich keine Sorgen machen, ich habe schon angefangen zu lesen.« Das war eine Lüge, aber Ella wollte die ehrgeizige und etwas eigenwillige Michelle nicht schon beim ersten Mal verärgern.
    »Prima! Und, wie ist es?«
    Ein paar Sekunden lang war Ella um die Antwort verlegen. Sie wusste nicht das Geringste über das Manuskript, außer dass es sich um einen historischen Roman über das Leben des berühmten Mystikers Rumi handelte, der, wie sie gelernt hatte, »Shakespeare der islamischen Welt« genannt wurde.
    Ella kicherte. »Na ja, es ist sehr … mystisch«, sagte sie in der Hoffnung, sich mit einem kleinen Scherz über die Runden zu retten.
    Michelle blieb ganz geschäftsmäßig. »Na gut«, sagte sie nur. »Aber sehen Sie zu, dass Sie vorankommen. Ein Gutachten über einen solchen Roman schreibt sich ja nicht von selbst …«
    Aus dem Hörer drang jetzt fernes Gemurmel, während Michelles Stimme immer leiser wurde. Ella stellte sich vor, wie ihre Gesprächspartnerin beim Telefonieren zig Dinge auf einmal zu erledigen versuchte – wie sie E-Mails las, eine Rezension über einen ihrer Autoren überflog, von ihrem Thunfischsalat-Sandwich abbiss und sich die Fingernägel lackierte.
    »Sind Sie noch dran?«, fragte Michelle.
    »Ja.«
    »Gut. Hören Sie, bei uns ist die Hölle los, ich muss Schluss machen. Denken Sie dran, Abgabetermin ist in drei Wochen.«
    »Ich weiß«, sagte Ella schneidig, um etwas zielstrebiger zu klingen. »Das schaffe ich.«
    In Wahrheit wusste sie nicht einmal genau, ob sie überhaupt Lust dazu hatte, das Manuskript zu begutachten. Anfangs war sie noch so gespannt und zuversichtlich gewesen. Sie fand es aufregend, als Allererste den unveröffentlichten Roman eines unbekannten Autors zu lesen und eine, wenn auch noch so kleine Rolle, zu spielen für seinen weiteren Weg. Jetzt aber bezweifelte sie, dass es ihr gelingen würde, sich auf etwas wie den Sufismus und eine so weit zurückliegende Zeit wie das dreizehnte Jahrhundert zu konzentrieren, was mit ihrem Leben so ganz und gar nichts zu tun hatte.
    Michelle musste ihre Zögerlichkeit gespürt haben. »Gibt es ein Problem?«, fragte sie. Und als keine Antwort kam, hakte sie nach. »Sie können es mir ruhig sagen.«
    Nach kurzem Schweigen beschloss Ella, ihr die Wahrheit zu beichten.
    »Ich weiß einfach nicht genau, ob ich zurzeit in der richtigen Verfassung bin, um mich auf einen historischen Roman einzulassen. Ich interessiere mich durchaus für Rumi und so weiter, aber das Thema ist mir doch sehr fremd. Vielleicht könnten Sie mir ein anderes Manuskript geben – etwas mit mehr Bezug zu mir.«
    »Das ist ja mal ein richtig schräger Ansatz«, entgegnete Michelle. »Glauben Sie wirklich, Sie täten sich leichter mit Büchern, über deren Inhalt Sie Bescheid wissen? Garantiert nicht! Schließlich können wir ja nicht nur Romane veröffentlichen, die in Massachusetts spielen, bloß weil wir hier leben!«
    »So habe ich es nicht gemeint …«, sagte Ella, und ihr wurde schlagartig klar, dass sie diesen Satz an diesem Nachmittag schon viel zu oft von sich gegeben hatte. Sie spähte zu ihrem Mann hinüber, um herauszufinden, ob es ihm auch aufgefallen war, aber Davids Miene ließ sich schwer deuten.
    »Wir müssen fast immer Sachen lesen, die nichts mit unserem Leben zu tun haben, das ist nun mal unser Job. Letzte Woche habe ich die Arbeit am Buch einer Iranerin abgeschlossen, die früher ein Bordell in Teheran betrieben hat und aus dem Land fliehen musste. Hätte ich der vielleicht sagen sollen, es wäre besser, wenn sie ihr Manuskript an eine iranische Agentur schickt?«
    »Nein, natürlich nicht«, murmelte Ella. Sie kam sich dumm vor und hatte ein schlechtes Gewissen.
    »Finden Sie nicht auch, dass es gerade zu den Stärken guter Literatur zählt, den Menschen ferne Länder und Kulturen näherzubringen?«
    »Ja, natürlich. Also, vergessen Sie, was ich gesagt habe. Mein Gutachten liegt noch vor dem Abgabetermin auf Ihrem Schreibtisch.« Sie ärgerte sich über Michelle, weil die sie wie die letzte Hinterwäldlerin behandelte, und sie ärgerte sich über sich selbst, weil sie es zugelassen

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