Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook
hatte.
»Super – das ist die richtige Einstellung!«, flötete Michelle am anderen Ende. »Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, aber denken Sie mal daran, dass es da draußen jede Menge Leute gibt, die sich alle zehn Finger nach Ihrem Job abschlecken. Und die meisten davon sind gerade mal fast halb so alt wie Sie. Das hilft Ihnen bestimmt auf die Sprünge.«
Als Ella aufgelegt hatte, sah sie, dass David sie mit einem ernsten, distanzierten Ausdruck im Gesicht betrachtete. Offenbar wartete er darauf, dass sie da weitermachten, wo sie aufgehört hatten. Aber Ella stand nicht der Sinn danach, sich noch länger den Kopf über die Zukunft ihrer Tochter zu zerbrechen, falls das überhaupt das Thema gewesen war.
Später saß sie allein auf der Veranda in ihrem Lieblingsschaukelstuhl und betrachtete den orangeroten Northamptoner Sonnenuntergang. Der Himmel wirkte so einladend und nah, als bräuchte man nur die Hand auszustrecken. Sie fühlte sich leer, geradezu ermüdet von allem, was in ihrem Kopf umherwirbelte. Die Kreditkartenzahlungen für diesen Monat, Orlys schlimme Essgewohnheiten, Avis schlechte Noten, Tante Esther mit ihren traurigen Kuchen, die schwindende Gesundheit ihres Hundes Spirit, Jeannettes Heiratspläne, die heimlichen Affären ihres Mannes, die fehlende Liebe in ihrem Leben … Einen nach dem anderen sperrte sie ihre Gedanken in kleine Schachteln ein.
In dieser Stimmung nahm sie das Manuskript aus dem Umschlag und hielt es einen Moment in den Händen, wie um es zu wiegen. Auf dem ersten Blatt stand in indigoblauer Schrift der Titel des Romans: Süße Blasphemie .
Ella wusste nur, dass nicht viel über den Autor bekannt war. Es handelte sich um einen gewissen A.Z. Zahara, der in Holland lebte. Sein Manuskript war von Amsterdam aus an die Literaturagentur gesendet worden. Der Umschlag enthielt auch eine Postkarte mit einer Aufnahme von einem Feld voller Tulpen in grellen Rosa-, Gelb- und Violetttönen. Auf der Rückseite stand in zierlicher Handschrift:
Sehr geehrte Damen und Herren,
Grüße aus Amsterdam! Die Geschichte, die ich Ihnen anbei schicke, spielt im dreizehnten Jahrhundert, und zwar in Konya, Kleinasien. Meiner tiefen Überzeugung nach ist es jedoch eine Geschichte, die über Länder, Kulturen und Zeiten hinweg Gültigkeit besitzt.
Ich hoffe, Sie haben Zeit und lesen Süße Blasphemie , einen historischen mystischen Roman über die außergewöhnliche Freundschaft zwischen Rumi, dem größten Dichter und meistverehrten geistlichen Führer in der Geschichte des Islam, und Schams-e Tabrizi, einem so unbekannten wie skandalträchtigen Derwisch, der nach niemandes Pfeife tanzte und stets voller Überraschungen steckte.
Möge Ihr Leben immer voller Liebe und mögen Sie stets von Liebe umgeben sein.
A.Z. Zahara
Ellas Gefühl nach hatte diese Postkarte die Neugier des Agenten geweckt. Aber Steve war nicht der Typ, der sich Zeit für das Werk eines Amateurs nahm. Deshalb hatte er das Päckchen seiner Assistentin Michelle übergeben, die es postwendend an ihre neue Assistentin weitergereicht hatte. So war Süße Blasphemie in Ellas Hände geraten.
Sie konnte nicht ahnen, dass es nicht einfach irgendein Buch war, sondern das Buch, das ihr Leben verändern würde. In der Zeit, in der sie es las, sollte ihr Leben neu geschrieben werden.
Sie blätterte zur zweiten Seite. Dort stand ein kurzer Text über den Autor.
Wenn A.Z. Zahara nicht gerade in der Welt herumreist, lebt er mit seinen Büchern, Katzen und Schildkröten in Amsterdam. Süße Blasphemie ist sein erster Roman und aller Wahrscheinlichkeit nach auch sein letzter. Er hat nicht die Absicht, Schriftsteller zu werden, sondern verfasste dieses Buch einzig aus inniger Bewunderung für den großen Philosophen, Mystiker und Dichter Rumi und dessen geliebte Sonne Schams-e Tabrizi.
Ihre Augen wanderten zur nächsten Zeile, und dort las sie etwas, was ihr merkwürdig vertraut vorkam:
Denn entgegen der Meinung vieler Menschen ist Liebe nicht bloß ein schönes Gefühl, das kommt, um unweigerlich bald wieder zu verschwinden.
Für einen Moment rang Ella um Fassung. Das war genau das Gegenteil dessen, was sie vorhin in der Küche zu ihrer Tochter gesagt hatte. Einen Augenblick lang saß sie reglos da und schauderte bei dem Gedanken, dass sie von irgendeiner rätselhaften Kraft im Universum – oder auch nur von diesem Autor, wer immer er war, ausspioniert wurde. Vielleicht hatte er das Buch schon in dem Wissen verfasst, welche Art von Mensch
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