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Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook

Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook

Titel: Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elif Shafak
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denen sie durchaus mehr gebrauchen konnte). Es war, als knabberte man an einer verbotenen Frucht, ohne sich Sorgen machen zu müssen wegen der zusätzlichen Kalorien – schließlich gab es ja keine Konsequenzen.
    Vielleicht war es blasphemisch, wenn eine Ehefrau und Mutter einem Fremden intime E-Mails schrieb, aber in Anbetracht der platonischen Natur dieser Beziehung folgerte Ella, dass es sich um süße Blasphemie handeln musste.

ELLA
    NORTHAMPTON, 5. JUNI 2008
    B itte, mein lieber Aziz, erlaube mir, dir etwas zu gestehen. In einer früheren Mail schriebst du, die Vorstellung, wir könnten den Verlauf unseres Lebens mittels rationaler Entscheidungen beeinflussen, sei genauso absurd wie ein Fisch, der den Ozean zu kontrollieren versucht. Über den Satz, der dann folgte, habe ich viel nachgedacht: »Der Glaube an ein wissendes Selbst hat nicht nur zu falschen Erwartungen geführt, sondern auch zu Enttäuschungen, wo immer das Leben nicht unseren Vorstellungen entspricht.«
    Nun, ich bin selbst so eine Art Kontrollfreak. Zumindest würden das die Leute, die mich am besten kennen, behaupten. Bis vor Kurzem war ich eine sehr strenge Mutter. Ich hatte eine Menge Regeln aufgestellt (und die waren nicht so nett wie deine Sufi-Regeln, glaub mir!) und ließ nicht mit mir handeln. Meine ältere Tochter bezeichnete meine Vorgehensweise einmal als Guerilla-Strategie. Ich hätte mich in das Leben all meiner Lieben geschaufelt, meinte sie, und versuchte von meinem Graben aus, jeden ihrer Gedanken oder Wünsche, die mir falsch erschienen, einzufangen!
    Erinnerst du dich an das Lied »Que será, será«? Also, mein Lied war das nie. »Was kommt, das kommt« hat mir nie so recht behagt. Ich kann mich einfach nicht fallen lassen. Du bist, wie ich weiß, ein religiöser Mensch; ich nicht. Wir feiern zwar im Familienkreis gelegentlich Sabbat, aber ich könnte nicht mal mehr sagen, wann ich zum letzten Mal gebetet habe. (Nein, stimmt nicht – erst vorgestern in meiner Küche, aber das zählt nicht, weil es da eher darum ging, einem höheren Selbst etwas vorzujammern.)
    Zu Collegezeiten hatte ich eine Phase, in der mich die östliche Spiritualität begeisterte. Ich las damals einiges über Buddhismus und Taoismus. Damals plante ich sogar, einen Monat lang mit einer exzentrischen Freundin in einem indischen Aschram zu leben, doch diese Phase hielt nicht lange an. Die mystischen Lehren waren zwar verlockend, aber ich fand, dass sie zu viel Gefügigkeit forderten und sich im modernen Leben nicht anwenden ließen. Und an dieser Ansicht hat sich seither nichts geändert.
    Hoffentlich kränkt es dich nicht, dass ich mit Religion so gar nichts anfangen kann. Betrachte es bitte als das längst fällige Geständnis eines Menschen, für den du sehr wichtig bist.
    Herzlich
    Ella
    Liebe Guerilla-Ella,
    deine E-Mail erreichte mich in Amsterdam, kurz bevor ich nach Malawi aufbrechen wollte. Ich habe den Auftrag, die Menschen in einem Dorf zu fotografieren, in dem Aids wütet und die meisten Kinder Waisen sind.
    Nun, wenn alles gut läuft, bin ich in vier Tagen zurück. Darf ich es hoffen? Ja. Kann ich es beeinflussen? Nein. Ich kann nur meinen Laptop mitnehmen, eine gute Internetverbindung suchen und hoffen, auch morgen noch am Leben zu sein. Alles andere habe ich nicht in der Hand. Die Sufis nennen es das fünfte Element – die Leere. Das unerklärliche und unkontrollierbare göttliche Element, das wir Menschen nicht verstehen, dessen wir aber immer gewahr sein sollten. Ich glaube nicht an »Untätigkeit«, wenn damit gemeint ist, nichts zu tun und dem Leben keinerlei tiefes Interesse entgegenzubringen. Aber ich glaube sehr wohl, dass man das fünfte Element respektieren muss.
    Ich glaube, dass jeder von uns einen Vertrag schließt mit Gott. Ich jedenfalls habe es getan. Als ich Sufi wurde, versprach ich Gott, meine Schuldigkeit zu tun, so gut ich kann, und alles andere Ihm, und nur Ihm, zu überlassen. Ich habe akzeptiert, dass es Dinge gibt, die ich nicht begreifen werde. Ich vermag immer nur einige Teile zu sehen – so wie unscharfe Passagen eines Films; das große Ganze aber übersteigt meine Fassungskraft.
    Du hältst mich also für einen religiösen Menschen. Aber das stimmt nicht.
    Ich bin ein spiritueller Mensch – das ist etwas anderes. Religiosität und Spiritualität sind nicht das Gleiche, und ich glaube, dass die Kluft zwischen beiden nie tiefer war als heute. Wenn ich die Welt betrachte, sehe ich ein immer größer werdendes

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