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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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seiner demütigen und harten Augen stand vielleicht zu lesen: So haben wir es miteinander ohne ein Wort vereinbart. Ich habe das von dir erwartet. Gabriel hatte, so oft er mit Ter Haigasun zusammentraf, die Empfindung gehabt, daß sich dieser vor ihm verschließe, ja daß er ihn sogar aus einem unbekannten Grunde abweise. Deshalb machte ihn die versuchte Umarmung des Priesters jetzt betroffen und regungslos. Ter Haigasuns leidensschmale Finger glitten von seinen Schultern ab.
    Inzwischen versuchte Pastor Harutiun Nokhudian die Menge zu beruhigen. Der kleine dürftige Mann hatte dabei mit seiner Frau zu kämpfen, die sich erregt an ihn drängte und es verhindern wollte, daß er eine Unvorsichtigkeit begehe. Nur langsam gelang es Nokhudian, sich Gehör zu verschaffen. Er mußte seine schwache Stimme, so hoch er konnte, anspannen:
    »Christus befiehlt uns streng, der Obrigkeit zu gehorchen. Christus befiehlt uns streng, dem Übel nicht zu widerstreiten. Mein Amt ist das Evangelium. Ich kann als Hirte meiner Herde keiner Widersetzlichkeit zustimmen.«
    Der Pastor, der im Hause Bagradian meist den Eindruck eines kleinlaut kränklichen Männchens gemacht hatte, bewies nun in der Begründung seines Standpunktes große Festigkeit. Er schilderte die Folgen einer bewaffneten Auflehnung, wie er sie sah. Dieser Aufruhr erst gebe der Regierung das volle Recht, die verruchte Maßregel in ein rücksichtsloses Rachewerk zu verwandeln. Dann sei auch der Tod nicht mehr die verdienstvolle Leidensnachfolge des Herrn, sondern eine gesetzesmäßige Strafe für Aufrührer. Und nicht nur die Seelen der hier Versammelten würden mit dem Frevel der Rebellion vor Gott belastet sein, sondern diese kehre sich in ihrer Auswirkung unaufhaltsam gegen die gesamte Nation, gegen alle Armeniersöhne und -töchter. Sie schenke den Herrschenden vor der ganzen Welt eine willkommene Handhabe, die armenische Millet nachweislich als Ehebrecherin der Staatsgemeinschaft und als Hochverräterin zu brandmarken. Eine gute Frau dürfe ihr Haus auch dann nicht preisgeben, wenn der eigene Mann sie mißhandle. Dies war die Ansicht Harutiun Nokhudians, in dessen Haus die Dinge umgekehrt lagen, da die Seinige ihn nicht nur in Gesundheitsfragen tyrannisierte. Seine angestrengte Stimme drohte zu brechen:
    »Wer aber kann behaupten, daß unsere Austreibung unbedingt das Ende nehmen muß, wie Ter Haigasun und Aram Tomasian es weissagen? Sind Gottes Ratschlüsse nicht auch für sie unerforschlich? Hat der Herr nicht die Macht, uns Hilfe von allen Seiten zu senden? Wohnen nicht überall Menschenseelen, auch unter Türken, Kurden und Arabern, die sich erbarmen? Werden wir nicht, soferne wir uns unser Gottvertrauen bewahren, Wohnung und Nahrung auch in der Fremde finden? Ist es nicht möglich, daß die Rettung, während wir verzweifeln, schon unterwegs ist? Findet sie uns hier nicht, so wird sie uns vielleicht in Aleppo finden. Geschieht in Aleppo nichts, so wollen wir auf die nächste Station hoffen. Unser Leib wird bitter leiden, aber unsere Seelen werden frei sein. Wenn wir zwischen einem schuldlosen und einem sündhaften Tod zu wählen haben, warum sollen wir den sündhaften Tod wählen?«
    Harutiun Nokhudian konnte nicht weiterreden, denn sein mageres Stimmchen wurde von einer tiefen und entschiedenen Frauenstimme zur Seite geschoben. War diese kampflustige Erscheinung im schwarzen Matronengewand wirklich Mütterchen Antaram, die Frau des alten Arztes? Wars wirklich Mairik Antaram, die Helfende und Betreuende, das Mütterchen der Mütter, von der auch diejenigen, denen sie mit Rat und Tat beistand, nie eine längere Rede gehört hatten? Das schwarze Spitzentuch war von ihrem nicht gänzlich ergrauten, in der Mitte gescheitelten Haar in der Erregung zurückgeglitten. Aus dem tief geröteten Gesicht sprang die kühne Nase adlig vor. Aus breiten Hüften wuchs die kraftausströmende Gestalt mit dem zurückgeworfenen Kopf hoch. Tausend streitsüchtige Runzeln umkränzten die hellen blauen Augen. Und doch, Antaram Altouni war jung vor herrlicher Empörung:
    »Ich bin eine Frau«, – die gesättigte Stimme ertrotzte sich mit ihrem ersten Laut völlige Ruhe – »ich bin eine Frau und spreche für alle Frauen hier! Viel habe ich erlitten! Mein Herz ist oft und oft gestorben. Der Tod ist mir längst gleichgültig. Ich werde gar nicht hinschauen, wenn er kommt. Doch in der Erniedrigung will ich nicht zugrunde gehen, auf der Landstraße werde ich nicht krepieren und nicht auf

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