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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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ihnen von der Regierung zugesicherte Festprogramm zum Teile verwirklicht. Zu dieser Stunde war demnach glücklicherweise der erste Tatendurst der Rotte schon gestillt. Das große Haus Awetis Bagradians, des Alten, mit seinen dicken Mauern, kühlen Gemächern, lärmschluckenden Teppichen und fremdartigen Dingen ringsum übte zweifellos auf die Türken einen roheitsdämpfenden Einfluß aus. Die roten Fenstervorhänge des Selamliks waren herabgelassen, und die Eindringlinge sahen sich im kostbaren Halbdunkel dieses Raumes einer Gesellschaft von europäischen Damen und Herren gegenüber, die von ihren Dienern ehrfürchtig umgeben standen. Steif aufgerichtet warteten die Herrschaften regungslos. Juliette umkrampfte Stephans Hand. Nur Gonzague zündete sich eine Zigarette an. Gabriel Bagradian trat der Kommission einen Schritt entgegen, nach Offiziersvorschrift mit der linken Hand den Säbel raffend. Die Felduniform, die er sich in Beirût vor seiner Abreise hatte anfertigen lassen, hob seine Gestalt. Er war nicht nur der körperlichen Größe nach, sondern in seiner ganzen Erscheinung die ranghöchste Persönlichkeit an diesem Ort. Gonzague schien sich getäuscht zu haben. Bagradians militärisches Auftreten verfehlte die Wirkung nicht. Unsicher musterte der Polizeihauptmann den Offizier mit den Kriegsauszeichnungen. Was hatte das zu bedeuten? Das furchterregende Auge wurde trübe und das verschwollene schloß sich ganz. Auch der sommersprossige Müdir schien sich in seiner Rolle nicht besonders wohl zu fühlen. In den dumpfen Stuben der Holzschnitzer und Seidenweber die unerreichbare Aufsichtsgottheit zu spielen, das war ihm viel leichter gefallen. Hier aber, in dieser kultivierten Umgebung, kamen dem jungen Mann aus Salonik die leidigen Nerven in die Quere. Anstatt als Vertreter Ittihads und des Staates dieses Haus der verfluchten Rasse mit erbarmungslosem Tritt in Besitz zu nehmen, verbeugte er sich und griff an den Fez. Dabei kam die Unterredung, die er in seiner Kanzlei mit Bagradian geführt hatte, ihm unbehaglich zu Bewußtsein. Durch diese moralische Anfälligkeit versäumte er Zeit und fand den richtigen Anfang nicht. Gabriel Bagradian faßte ihn mit solch verächtlichem Ernst ins Auge, daß sich das Spiel zu verkehren drohte und ein hochgewachsen kriegerisches Armenien einem rothaarigen, verdrückten und schlechtrassigen Osmanentum gegenüberstand. Bagradian schien immer größer zu werden, und der Müdir litt unter seiner minderwertigen Gestalt, die das Heldenwesen seines Stammes so ungenügend verkörperte. Es blieb ihm schließlich nichts andres übrig, als ein großes Amtspapier aus der Tasche zu ziehen, sich daran gewissermaßen festzuhalten und seine Sache mit möglichster Schärfe herunterzurasseln:
    »Gabriel Bagradian, in Yoghonoluk gebürtig! Sie sind Besitzer dieses Hauses und Familienvorstand. Als ottomanischer Staatsbürger unterstehen Sie den Befehlen und Verordnungen des Kaimakams von Antiochia. Gleich der übrigen Bevölkerung der Nahijeh von Suedja am Musa Dagh werden Sie an einem der nächsten Tage, der noch zu bestimmen ist, nach dem Osten abgehen und Ihre gesamte Familie mit Ihnen. Ein Recht des Einspruchs irgendwelcher Art gegen die allgemeine Maßregel der Verschickung steht Ihnen nicht zu, nicht für Ihre Person, nicht für die Person Ihrer Frau, Ihres Kindes, noch für irgend einen anderen Angehörigen Ihres Hauses …«
    Der Müdir, der so tat, als lese er die Formel ab, schielte nun über das Blatt hinweg:
    »Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Ihr Name unter den politisch Verdächtigen eigens geführt wird. Sie sind der Daschnakzaganpartei nahe gestanden. Daher werden Sie auch während des Transportes täglich einer scharfen Kontrolle unterzogen werden. Jeglicher Fluchtversuch, jede Auflehnung gegen die Regierungsbefehle und die ausführenden Organe, jede Übertretung der Transportordnung wird nicht nur Ihren sofortigen Tod, sondern auch die unmittelbare Hinrichtung Ihrer Angehörigen zur Folge haben.«
    Gabriel machte ein Zeichen, als wolle er antworten. Der Müdir aber ließ ihn nicht reden. Die verwickelte Amtssprache – so entgegengesetzt der Blumigkeit orientalischer Zunge – schien ihm ein schwelgerisches Vergnügen zu bereiten:
    »Laut zusätzlicher Verfügung Seiner Exzellenz, des Wali von Aleppo, ist es den Verschickten nicht gestattet, nach eigenem Ermessen Fuhrwerk, Last- und Reittiere zu verwenden. In berücksichtigungswerten Fällen kann ich die Benützung eines

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