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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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anders ging, mit den Zähnen die Seide der Kopfkissen. Vielleicht verbarg sich doch eine Bombe im dicken Innern der Polster. Von armenischen Bomben hörte man ja immer wieder. Ein andrer hieb mit seinem Knüppel über den Toilettetisch. Aufschreiend sprangen die Kristallflaschen, Schalen, Büchsen und Dosen zu Boden, einen stechenden Wohlgeruch verbreitend. Der Knüppel fuhr in den Spiegel, der nach allen Seiten zerspritzte. Gabriel Bagradian sah dieser Entweihung seiner Frau mit geistesabwesender Gleichgültigkeit zu. Arme Juliette! Aber was lag an all diesem Plunder angesichts der nächsten Stunden, Tage, Wochen? Eine tiefere Sorge bedrückte ihn. Er sah Iskuhi, wie sie sich in ihrem Zimmerchen lautlos im Bette versteckt hielt. Sie ging ihn zwar nichts an, war aber doch die Ärmste von allen. Durch diese Bestien zum Krüppel geschlagen, sollte sie jetzt das Ungeheuerliche noch einmal erleben. Bagradian sann, wie er den Muafin und die Saptiehs nur an Iskuhis Tür vorübertäuschen könne.
    Und wirklich, der Himmel schien es günstig fügen zu wollen. Iskuhi, die sich in ihrem Bett wie im Grab verkrochen hatte, hörte das Schrittedonnern und Baßgedröhn des gräßlichsten Todes sich näherwälzen. Sie streckte sich steif aus und bedeckte mit der rechten Hand ihren Schoß, während ihr der Atem schwand und das zerfressene Kaleidoskop-Gesicht sich über sie beugte. Doch der Vergewaltiger beschnupperte sie nur ganz kurz und verging. Draußen brauste das Schrittedonnern und Baßgedröhn vorüber, verzog sich über die Treppe und blieb unten im Erdgeschoß dumpf hängen. Dann wurde es auf einmal ganz still. Waren sie fort? Iskuhi fuhr aus dem Bett. Auf Strümpfen zur Tür! Einen Spalt geöffnet! Christus, Erlöser, sie waren wirklich fort. – Fast fiel sie ins Zimmer zurück, als diese Peitschenschläge sie nun trafen. Die Peitschenschläge waren Stimmen, Männerstimmen. Sie erkannte den Aufschrei Gabriels. Den lahmen Arm festhaltend, damit er ihr nicht hinderlich sei, lief sie zur Treppe. Unten hatte sich folgendes zugetragen:
    In der Meinung, daß die Schmach überstanden sei, war Gabriel in der Vorhalle nachdrücklich stehen geblieben. Er richtete sein Wort an den Müdir:
    »Sie sehen, es ist Ihnen nichts verweigert worden. – Was noch?«
    Der sommersprossige Edelpolitiker aus Salonik hatte seine Pflicht erfüllt. Es war dafür gesorgt, daß der armenische Effendi mitsamt seiner Familie auf keinen Fall mehr entkommen konnte. Der besondere Auftrag des Kaimakams, die Bagradian-Sippe betreffend, lautete dahin, daß dieselbe in der ersten Transportgruppe unter den schärfsten Bedingungen nach Antakje abzugehen habe, wo der Provinzgewaltige höchstselbst sich die Leute nach seinen eigenen Worten »ein bißchen anschauen« wollte. Der Müdir war der Ansicht, daß die Amtshandlung jetzt abzubrechen sei, um so hervorragende Opfer nicht vorzeitig zur Verzweiflung zu treiben. Ein gewisses Vertrauen dieser Opfer in die unerforschlichen Ziele der Regierung war notwendig und ebenso eine bestimmte Steigerung in den Erlebnissen, die man ihnen zudachte. An diesem Tage sollte Milde walten. Der Müdir zögerte noch, weil er über einen effektvollen Abgang nachsann, wobei sich sein Blick mit den zärtlich gepflegten Fingernägeln innig beschäftigte. Leider aber hatte er nicht mit dem Polizeivogt gerechnet. Dieses trübe Hirn konnte und konnte es nicht verdauen, daß der hochmütige Giaur in des Padischah Uniform, mit des Padischah Orden und Säbel sich wichtig mache. Dabei wußte er nicht, wie er die Sache am besten anpacken solle. Auch hatte ihn seine schmähliche Befangenheit noch immer nicht losgelassen. Da ihm also nichts Besseres einfiel, versuchte er sein starres Auge in rollende Bewegung zu setzen. Dann pflanzte er sich, breit und herausfordernd, vor Bagradian hin:
    »Wir haben nicht alles gesehen! … Dort oben! … An einigen Türen sind wir vorübergegangen …«
    Hätte Gabriel jetzt die Fassung behalten, es wäre vielleicht alles gut abgelaufen. Er aber sprang auf die erste Stufe der Treppe, breitete abwehrend seine Arme aus und schrie:
    »Jetzt aber ist es genug!«
    Da hatte der Muafin endlich sein Stichwort. Er trat, sichtlich erlöst, auf Bagradian zu und hielt ihm die Faust unter die Nase:
    »Was ist genug, Armenierschwein?! Sag es noch einmal? Was ist genug, unreines Schwein!?«
    In Bagradians Geist vollzog sich einer von jenen endlosen und höchst komplizierten Augenblicken, aus denen die menschlichen

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