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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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landesüblichen Karrens oder eines Esels für Schwache und Kranke zulassen. Erheben Sie auf diese Vergünstigung Anspruch?«
    Gabriel drückte den Säbelkorb fest an die Hüfte. Wie Steine fielen die Worte aus seinem Mund:
    »Ich werde den Weg unsres Volkes gehen.«
    Der Müdir hatte indessen sein anfängliches Unbehagen vollständig überwunden. Er konnte schon den Ton wohlwollender Besorgnis in seine Worte legen:
    »Damit Sie nicht in die gefährliche Versuchung geraten, sich vorher wegzubegeben oder später abzusondern, belege ich Ihren Wagen, Ihre Pferde und anderen Reittiere sofort mit Beschlag.«
    Was weiter geschah, war das Übliche, wenn auch anfangs in gebändigten Formen. Der Polizeivogt, der noch immer nicht wußte, was er mit Uniform, Säbel und Orden dieses Ausrottungsobjektes anzufangen habe, stellte knurrend die Waffenfrage. Gabriel ließ durch Kristaphor und Missak die langläufigen Beduinenflinten hereintragen, die als altertümliche Dekorationen in der Treppenhalle hingen. (Ein abgekartetes Spiel natürlich, da sich sämtliche brauchbaren Gewehre des Hauses bereits auf dem Damlajik befanden.) Hohnlachen zischte aus dem Mund des Polizeihauptmanns wie aus einem überheizten Kessel. Der Müdir beklopfte nachsichtig die romantischen Büchsen:
    »Sie werden doch nicht behaupten wollen, Effendi, daß Sie in dieser Einsamkeit hier ohne Waffen leben?«
    Gabriel Bagradian suchte den wimperlosen Blick des Müdirs und hielt ihn fest:
    »Warum denn nicht? Seitdem dieses Haus steht, seit dem Jahre 1870 also, wird heute zum erstenmal ein Einbruch verübt.«
    Der Sommersprossige zuckte bedauernd mit den Achseln, als könne er bei solchem Eigensinn leider nichts mehr für Bagradian tun und sei gezwungen, den schärferen Amtshandlungen der bewaffneten Macht das Feld zu räumen. Haussuchung nach Waffen: Der Muafin krempelte gewissermaßen seine Ärmel auf, obgleich die Offiziersuniform des rechtlosen Armeniers seinen Feldwebelgeist mit unruhig-zornigen Fragen noch immer verwirrte. Das starre rechte Auge kam von den Medaillen auf Bagradians Brust nicht los, die auf eine lobenswürdige Kriegsdienstleistung schließen ließen. Es war ihm ganz und gar nicht erfindlich, wie diese Verschickungsnummer von kaiserlich ottomanischem Gagistenrang zu behandeln sei. Um seine unmutigen Zweifel zu verbergen, führte er die Haussuchung mit großem Gepolter durch. Er stapfte mit den Saptiehs voran, dicht hinter ihnen ging der Müdir wie ein Unbeteiligter, Gabriel, Awakian und Kristaphor folgten. Die Türken krochen in jeden Winkel, klopften die Mauern ab, warfen die Möbel um und zerbrachen alles, was zerbrechlich war. Man merkte ihnen aber an, daß dieser nur nebenbei und wie aus Versehen geübte Vandalismus ihren Stolz beleidigte. Sie waren an ganze und offene Arbeit gewöhnt. Im Keller zerschlugen sie nur im Vorübergehen und ohne rechtes Temperament mit ihren Gewehrkolben die Weinkrüge, die Ölbehälter und was an Flaschen, Töpfen, Schüsseln, Häfen zu finden war. Die wichtigsten Vorrats- und Lebensmittel waren schon an sicherer Stätte. Die enttäuschten Saptiehs hatten in diesem Palast einen reicheren Keller erwartet. Da sich nichts anderes fand, nahmen sie ein paar leere Petroleumkannen mit, denn der Orientale hegt für diese Blechgefäße eine sonderbare Vorliebe. Nachher erstürmte die Kriegsschar, die einen sauren Schweißdunst verströmte, die Treppe zum Oberstock. Hier war es vor allem Juliettens Schlaf- und Ankleidezimmer, dessen Duft die Türken schon von ferne so mächtig anzog, daß sie darüber die anderen Räume vergaßen. Der große Kleiderschrank wurde aufgerissen. Braune Schmutzfäuste rissen die Pariser Modelle vom vorigen Jahr heraus, zartsinnige Blüten von Kleidern, die nun in zerknüllten Bündeln und Schlangen auf dem Boden lagen. Ein besonders düsterer Gendarm trat auf ihnen in stierem Gleichtakt herum, als wolle er diese süßen Reptilien Europas in den Grund stampfen. Nicht anders erging es den Schlafgewändern, Batisthemden, Spitzen und Strümpfen. Beim Anblick dieser Frauenwäsche konnte sich der Polizeivogt nicht beherrschen. Er schöpfte mit beiden Händen aus dem weißen und rosenroten Gischt und wühlte sein Nußknackergesicht hinein. Der Müdir trat zum Zeichen dessen, daß die bürgerliche mit der waffentragenden Macht nichts zu tun habe, träumerisch ans Fenster, um den Garten zu betrachten. Ein überaus eifriger Saptieh hatte sich aufs unberührte Bett geworfen und zerriß, da es nicht

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