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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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nur Hautrisse, nicht der Rede wert. Unhörbar auf Strümpfen kam Iskuhi die Treppe hinab, ganz nahe. Ihre flehenden Augen suchten Samuel Awakian. Der Student brachte einen Mantel und bedeckte Gabriels schweißbedeckten Körper.
     
    Eine günstige Wendung! Der Müdir, der Polizeihauptmann und der größte Teil der Saptiehs verließen noch am selben Tage die Dörfer, um in Suedja und El Eskel bei den dortigen Armeniern amtszuwalten. Es gehörte zu den wohldurchdachten Feinheiten der türkischen Austreibungstaktik, daß sie nicht etwa Tag und Stunde des Abmarschbefehles vorzeitig bekanntgab. Da es sich eingestandenermaßen um einen Staatsakt der Vorsicht und uneingestandenermaßen um eine Vergeltungsstrafe handelte, durfte im doppelten Hinblick »das überraschende Moment« nicht vernachlässigt werden, das ja der Vergeltung eine besondere Würze verlieh. Dennoch hatte Pastor Harutiun Nokhudian es durch kostspielige Bestechungen herausgebracht, daß als Datum für die ersten Transporte der einunddreißigste Juli angesetzt war. Bis dahin würden hundert neue Saptiehs zu den alten stoßen. Der einunddreißigste Juli fiel auf einen Samstag. Den heutigen Donnerstag mit eingerechnet, blieben nur noch zwei Tage. Der Führerrat bestimmte die Nacht des Freitags auf den Samstag zum Auszug des Volkes auf den Damlajik. Das hatte seine guten Gründe. Am Freitag, dem mohammedanischen Ruhetag nämlich, stand es erfahrungsgemäß zu erwarten, daß die in den christlichen Dörfern liegenden Saptiehs diese verlassen und die türkisch-arabischen Ortschaften der Ebene aufsuchen würden, wo es Moscheen gab, Verwandte, Weiber und Lustbarkeit. Mit den Saptiehs aber verschwand dann auch der plünderungsgierige Janhagel für diesen Tag, weil die sauberen Gäste nicht mit Unrecht annehmen durften, daß die Armeniersöhne trotz ihrer Waffenlosigkeit sie mit Sensen, Äxten und Hämmern aufs schnellste und gründlichste verschicken würden. – Die Zeitwahl war demnach durch die Gunst der Umstände genau vorgeschrieben. Der Führerrat rechnete mit folgender Entwicklung: Die rückkehrenden und neueintreffenden Saptiehs werden am Morgen des Samstags anstatt des ganzen Volkes nur mehr Pastor Nokhudian mit seinen fünfhundert Protestanten in Bitias vorfinden. Dieser – die Kriegslist stammte von Gabriel Bagradian – wird dem Müdir lang und breit erzählen, daß die verschiedenen Gemeinden sich trotz seiner Bitten und Beschwörungen in der letzten Nacht aufgemacht und freiwillig in die Verbannung begeben hätten. Der Grund sei die Angst vor den Saptiehs und insonderheit vor dem Polizeihauptmann. Die Wege wisse er nicht genau anzugeben, denn die Leute seien in kleineren Gruppen und in allen möglichen Richtungen davongezogen, ein Teil gegen Arsus und Alexandrette, ein Teil in südlicher Richtung, alle aber mit der Absicht, bewohnte Orte zu vermeiden. Die wichtigste Gruppe wolle sich freilich bis nach Aleppo durchschlagen, um in der großen Stadt Schutz zu finden. Pastor Nokhudian, den viele wegen seines sanften Wesens und seiner christlichen Gehorsams-Entscheidung für einen mattherzigen Feigling gehalten hatten, entpuppte sich nun als aufrechte Seele. Das Täuschungsmanöver, das er auf sich nahm, bedeutete für ihn unmittelbare Todesgefahr. In der Minute, da die Türken diese Kriegslist erkannten, konnte er mit dem Leben abschließen. Der Pastor zuckte die Achseln: Was war keine Todesgefahr? Die Kämpfer auf dem Berge mußten Zeit gewinnen. Die Finte schob die Entdeckung um mehrere Tage hinaus und schuf eine hinreichende Frist, die Verteidigungswerke auszubauen.
    Der Führerrat tagte bei Ter Haigasun im Pfarrhaus. Das Gesicht des Priesters war von dem Knutenhieb sehr entstellt, das rechte Auge und die Backe noch immer geschwollen; bis zur halben Stirne hinauf zog sich ein violett verfärbter Fleck. Ter Haigasun hatte zwei Backenzähne verloren und man sah ihm an, daß er starke Schmerzen litt. Gabriels Rißwunden hingegen machten sich unter den Pflastern Altounis kaum mehr bemerkbar. Die körperliche Mißhandlung – die erste in seinem gehobenen und behüteten Dasein, ein Erlebnis von ungeahnter Wucht – hatte ihn den anderen noch näher geführt, diese aber ihrerseits auch näher zu ihm.
    Im Verlauf der Ratssitzung beschäftigten sich die Führer mit einem besorgniserregenden Übelstand, dem vorzubeugen es leider schon zu spät war. Die Dorfbewohner pflegten sonst in friedlichen Jahren während des Julimonats nach der Getreideernte ihren

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