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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Bedarf an Brotfrucht bei den türkischen oder arabischen Bauern zu decken, da sie ja selbst fast gar keinen Ackerbau treiben. In diesem Jahr hatten sie, durch das Drohende völlig betäubt, den Einkauf der notwendigen Wintervorräte verabsäumt. Diese Versäumnis rächte sich nun. Man besaß in den Dörfern Mehl, Kartoffeln und Mais nur in sehr bescheidenen Mengen. Wollte man damit eine längere Zeit auskommen, war die größte Sparsamkeit vonnöten. Da der Armenier aber sehr viel Brot und sehr wenig Fleisch zu essen gewohnt ist, entstand aus diesem Mangel für die Führung eine bedenkliche Frage. Dazu kam noch, daß in den ersten Tagen des Damlajik keine Möglichkeit bestand, Brot zu backen, weil die Backtröge erst in die Erde gemauert werden mußten. Pastor Aram Tomasian traf deshalb die Verfügung, daß bis Freitag abends jede Stunde ausgenützt und alle Tonirs der Dörfer unter Feuer gehalten werden sollten, damit soviel Wecken- und Fladenbrot wie nur möglich beförderungsbereit sei. – Am Ende der Tagung kündigte Ter Haigasun für den morgigen Freitag einen feierlichen Bittgottesdienst an. Nach Abschluß der Messe sollten die beiden Glocken aus der Turmstube niedergeholt, in großer Prozession zum Friedhof gebracht und dort bestattet werden. Das Volk werde dann von den Gräbern der Väter betenden Abschied nehmen. Ter Haigasun erklärte ferner, daß er mehrere Tragbutten mit geheiligter Totenerde auf den Damlajik mitzunehmen gedenke. Diejenigen, die dort oben im Kampf oder im Lager stürben, würden dann nicht ganz verlassen in der herzlosen Wildnis liegen, sondern ein Häuflein altgeweiht-ewiger Erde unter den Kopf mitbekommen.
    Am Freitagmorgen hatten sich die Saptiehs tatsächlich bis zum letzten Mann auf das mohammedanische Land verflüchtigt. Müdir und Muafin waren nach Antakje heimgeritten. Die Kirche zu den wachsenden Engelmächten aber war lange schon vor der festgesetzten Stunde so überfüllt wie noch nie seit dem Tage ihrer Einweihung. Der Vorraum und das große Viereck, über dem sich die Mittelkuppel erhob, die beiden Seitennischen und selbst die Bühne des Hochaltars konnten die Menschenfülle kaum fassen. Da die Kirche nach uralter Sitte keine Fenster besaß, drangen scharfe bernsteinfarbene Schwerter des Sonnenlichts durch schießschartenförmige Mauerschlitze, die dem Auge der Dreieinigkeit glichen. Die sich kreuzenden Sonnenklingen erleuchteten aber den Raum nicht, ja sie nahmen den Kerzen alles Licht und warfen über die Menschenmenge ein Netzwerk von seltsamen Schattenschlägen. Es waren heute nicht nur viele Hunderte von Frommen aus den kleineren Orten zum Bittgottesdienst nach Yoghonoluk gekommen, sondern auch die Priester und Kirchensänger allesamt, um bei diesem letzten Hochamt auf »festem Boden« feierlich mitzuwirken. Noch niemals hatte der Chor so volltönend leise den Hymnus gerauscht, der am Fuße des Altars den Ankleidungsritus des Priesters in der Sakristei verkündet:
    »Tiefes Geheimnis, unbegreiflich anfangloses!
Du schmücktest die oberen Reiche als Vorhang des
unnahbaren Lichts.
Du schmücktest mit ruhmreicher Herrlichkeit
Die Heere der Feuerwesen.«
    Niemals noch hatte Ter Haigasun tiefer gebeugt und fröstelnder das große Sündenbekenntnis vor dem Volke abgelegt. Unter seiner goldenen Krone glühte der Schandfleck des Peitschenhiebes. Und niemals noch hatte das Geheimnis des Friedenskusses, die Vereinigung der Gemeinde in Christo die Seelen der Gläubigen heiliger verbunden. Wenn sonst nach dem Aufopferungsgebet der Diakon bei den Worten »Grüßet einander mit dem heiligen Kusse« dem Obersänger (Lehrer Asajan) das Weihrauchfläschchen an die Lippen hielt, wenn dieser den nächsten Sänger küßte und die Umarmung sich vom Chor unter die Gemeinde fortpflanzte, dann war es zumeist in flüchtigen Berührungen nur eine schlaffe Förmlichkeit gewesen. Heute aber drückte einer den andern fest an die Brust und küßte ihn wirklich auf Wange und Mund. Viele weinten dabei. Als aber nach der Kommunion die assistierenden Priester auf einen Wink Ter Haigasuns mit der Abräumung des Altars begannen, da warf ein wilder, unerwarteter Schmerz die ganze Gemeinde auf die Knie. Ein fassungsloses Jammern, Stöhnen, Klagen stieg über das huschende Schattenwerk, über die gekreuzten Erzengelschwerter der Sonne in die verschwebende Kuppel auf. Jedes einzelne der heiligen Geräte wurde hoch emporgehalten, ehe es in einem strohgeflochtenen Korb verschwand, Kelch, Patene, Ziborium

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