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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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aufgehäuften Erde wurden fünf Tragbutten angefüllt. Ter Haigasun ging nach vollbrachtem Werk von einer zur anderen und schlug das Kreuz über sie. Bei der letzten blieb er stehen und beugte sich hinab. Es war keine schwarze, sondern bröcklig arme Erde. Ter Haigasun griff in die Butte und führte eine Handvoll der geweihten Erde an sein Gesicht, wie ein Bauer, der den Humus prüft:
    »Möge sie genug sein!« sagte er zu sich selbst. Dann aber blickte er mit erstaunter Versonnenheit den Kirchhof hinab, der schon fast menschenleer war. Die Bewohner der Dörfer hatten sich längst auf den Heimweg gemacht. Es ging auf den Mittag zu. In den größeren Ortschaften wie Habibli und Bitias waren ähnliche Feiern angekündigt. Für den großen Aufbruch aber hatte der Führerrat die Stunde nach Sonnenuntergang bestimmt.
     
    Gabriel sorgte für Juliette in der zartesten Weise vor. Sie sollte, in den armenischen Abgrund gezogen, von ihrer Welt so wenig vermissen, wie es unter solchen Umständen möglich war. Diese ihre europäische Welt beschäftigte sich freilich zur selben Zeit mit einem Gemetzel, dagegen alles Ähnliche als stümperhafte Zufälligkeit anmutete, wurde es doch mit allem Komfort der Neuzeit, nach den letzten Ergebnissen des Wissensfortschrittes, nicht mit dem harmlosen Blutdurst der Leidenschafts-Bestie, sondern der mathematischen Gründlichkeit der Intelligenz-Bestie exakt durchgeführt. Lebten wir jetzt in Paris – hätte sich Gabriel Bagradian zum Beispiel sagen können –, so müßten wir uns zwar nicht auf dem steinicht nackten Boden eines syrischen Berges einrichten, wir besäßen W.C. und Badezimmer, wären aber trotzdem täglich und nächtlich mehrmals gezwungen, uns in einen finsteren Keller vor schweren Fliegerbomben zu verkriechen. Auch in Paris könnte ich somit die Lebensgefahr von Stephan und Juliette nicht abwenden. – Dies alles aber sagte sich Gabriel schon deshalb nicht, weil er seit Monaten keine europäische Zeitung gelesen hatte und von Paris und vom Kriege so gut wie nichts wußte.
    Bereits am vorigen Abend hatte er Awakian und Kristaphor mit all seinen Leuten auf den Damlajik geschickt, damit sie in Juliettens neuer Wohnstätte alles Erdenkliche mit größter Umsicht vorbereiteten. Für den Dreizeltplatz mußte eine eigene Küche und Waschküche sowie noch andre Notwendigkeiten errichtet werden. Gabriel bestimmte, daß Juliette über alle drei Zelte zu verfügen habe. Es blieb ihr allein die Wahl derer vorbehalten, die sie in ihre Wohnung aufzunehmen für gut befand. Unter großen Mühen wurden nicht nur Teppiche, Kohlenbecken, Diwans, Tische und Stühle auf den Damlajik geschleppt, sondern auch eine erstaunliche Menge mondäner Gepäckstücke, Schrankkoffer, funkelnde Ledertaschen, Kassetten für Geschirr und Tafelbesteck, eine ganze Sammlung von Toilette- und Arzneimitteln, von Wärm- und Thermosflaschen. Gabriel wünschte, daß der Anblick dieser abendländischen Gegenstände Julietten die Kraft gebe, ihr Los zu ertragen. Sie sollte wie eine Fürstin leben, die aus einer abenteuerlichen Neigung mit einem großen Troß unwirtliche Gegenden bereist. Gerade deshalb aber mußte Gabriels eigenes Leben vor den Augen des Volkes doppelt hart und dürftig sein. Er war fest entschlossen, weder in einem der Zelte zu schlafen, noch auch sich aus der Küche des Dreizeltplatzes zu verköstigen.
    Vom Kirchhof heimgekehrt, traten die Leute von Yoghonoluk nochmals in ihre Häuser, die nicht mehr die ihren waren. Auf jeden einzelnen warteten verschnürte Riesenlasten, die seine Kräfte überstiegen. In dumpfer Unentschiedenheit gingen sie, den Abend erwartend, in ihren Stuben hin und her. Da lag noch eine verstoßene Matte, da stand noch ein Leuchter und hier, Christus Erlöser, das Bett, die teure Bettstelle, zusammengespart in fleißigen Jahren, damit man ein besserer Mensch sei und diese Ehe- und Familienfestung besitze. Und dieses Bett mußte an Ort und Stelle zurückbleiben, dem türkisch-arabischen Dorfgesindel zum Raub. Die Stunden zogen langsam. Und während der endlosen Zeit wurde immer wieder aus- und umgepackt, damit dies oder jenes überflüssige Unding noch Platz in den Bündeln finde. Auch in der baufälligsten Lehmhöhle spielte sich dieser herzzerreißende Abschied vom Gerümpel ab, das der Mensch in seinen Traum und seine Liebe hüllt.
    Wie alle anderen wanderte auch Gabriel Bagradian am späten Nachmittag durch die Räume seines Hauses. Sie waren tot und leer. Juliette hatte

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