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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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die zwei Zehnerschaften der Flankensicherung den Weg verstellten und dann nachschossen. Die Flucht der bergabrasenden Türken kam nicht einmal am Fuße des Damlajik ins Stocken, sondern erst auf dem Kirchplatz von Bitias, wo sie sich endlich sammelten.
    Neun Soldaten, sieben Saptiehs und ein junger Offizier waren den Verteidigern in die Hände gefallen. Diese schickten sich nun mit der kaltblütigsten Selbstverständlichkeit an, den Gefangenen ausführlich zu zeigen, was es heißt, im Stil eines armenischen Massakers zu sterben. Zwei von den Saptiehs konnte Gabriel Bagradian nicht mehr retten, doch die anderen Gefangenen deckten er, Pastor Aram Tomasian und noch einige ältere Männer mit den eigenen Leibern, während Tschausch Nurhan und die überwältigende Mehrheit für dergleichen Milde an hunderttausendfachen Armeniermördern nicht das nötige Verständnis hatten. Es gelang Bagradian nur schwer, seiner vernünftigen Ansicht in den enttäuschten Zehnerschaften Geltung zu verschaffen: »Wir haben keinen Vorteil, wenn wir sie umbringen, wir haben auch keinen Vorteil davon, wenn wir sie als Geiseln behalten. Die Ihrigen opfern sie ohne Wimpernzucken auf, und wir müssen ihnen zu essen geben. Wir haben aber einen Vorteil davon, wenn wir ihnen eine Botschaft nach Antakje mitgeben.«
    Er wandte sich an den aschgrauen Leutnant, der sich kaum auf den Beinen halten konnte:
    »Ihr habt gesehen, wie leicht wir mit euch fertig werden. Und wenn ihr keine Kompagnien, sondern Regimenter sendet, so ist es uns auch gleichgültig. Denn unser sind genug. Sieh hinauf, die Sonne ist noch nicht untergegangen, und wenn ich es wirklich gewollt hätte, würde kein Mann von euch mehr leben. Dies berichte deinem Kommandanten in Antakje und sage ihm, daß wir euch unverdient gnädig behandelt haben. Sage ihm in meinem Namen, er solle seine Regimenter und Kompagnien für den Krieg mit den Feinden des Reiches aufsparen und nicht für den Krieg mit friedlichen Bürgern des Reiches. Wir wollen hier oben unbelästigt leben, weiter nichts! Laßt uns künftig in Ruhe, wenn ihr nicht noch ganz andre Erfahrung machen wollt!«
    Der prahlerische Beiklang in Bagradians Worten, das Selbstbewußtsein, das in seiner Drohung lag, die klägliche Todesangst der Gefangenen, dies alles beruhigte die Mordsucht der Zehnerschaften. Sie zwangen die Türken, nicht nur ihre Waffen, Stiefel und Monturen dazulassen, sondern sich völlig nackt auszukleiden. In diesem schmählichen Zustand mußten die Entlassenen noch die Toten und Verwundeten des zweiten Kampfes den Saumpfad des Damlajik hinabschleppen. Die Beute des Tages war sehr groß: dreiundneunzig Mausergewehre, viel Munition, Bajonette. Von den sechsundfünfzig minderwertig bewaffneten Zehnerschaften konnten nun etwa zehn vollwertig ausgerüstet werden. Dies war der größte innere Erfolg. Und dieser Erfolg war ohne jedes Opfer erkauft, denn auf armenischer Seite gab es nur sechs Verwundete, darunter nicht einen schweren Fall.
     
    Es kann nicht wundernehmen, daß der überwältigende Sieg in seinem wirklichen Werte von Zehnerschaften und Lagervolk bedenklich überschätzt wurde. Arme vertriebene Bauern, ohne hinreichende Wohnung und Nahrung auf der Hochfläche des Damlajik horstend, schlechtbewehrte Fäuste, todesgewisse Seelen hatten eine kriegsstarke Kompagnie, also einige hundert junge, monatelang ausgebildete, modern gerüstete türkische Infanteristen geschlagen, und nicht nur geschlagen, sondern beinahe vernichtet. Keine vier Stunden hatte dieser grausame, aber leichte Kampf gedauert. Alles ging dank einem überlegenen Plan und dem trefflichen Verteidigungsbau im Handumdrehen und ohne nennenswerte Verluste. Trotz dem mächtigen Angreifer hatte nur ein Teil des ersten Treffens sich am Kampf beteiligt, während die größere Hälfte verschont geblieben war und das zweite Aufgebot, die Reserve, nicht einmal hatte in Bereitschaft treten müssen. Bildeten all diese nie erträumten Tatsachen nicht einen sonnenklaren Beweis dafür, daß die Lage der sieben Gemeinden glänzend war, daß sich die Armee des Damlajik, die eine ganze Kompagnie ohne eigene Verluste zum Teufel geschickt hatte, auch gegen vier Kompagnien werde halten können? Und selbst die eingefleischten Schwarzseher mußten sich da fragen, woher denn die türkischen Ersatzkaders überflüssige Bataillone und Regimenter für den Damlajik aufbringen sollten, da Dschemal Pascha doch jedes Gewehr für seine menschenarme vierte Armee brauchte. Da schon

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