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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Macht jeder Militärrasse steht und fällt mit dem magischen Glauben an ihre eigene Unbesiegbarkeit, den sie zu erzeugen versteht. Durch einen unglücklichen Krieg werden derartige Rassen daher oft auf Jahrzehnte zurückgeschleudert, während andere Völker, die sich der reinen Wehrgesinnung weniger vorbehaltlos verschreiben, militärisches Mißgeschick viel leichter und fruchtbarer überstehen. Die schrecklichste Erniedrigung aber bedeutet es für eine kriegerische Oberklasse, durch den »inneren Feind«, durch eine minderwertige, das heißt handels-, handwerks- und bildungsbeflissene Minorität eine blutige Lehre verabfolgt zu erhalten. Damit verkehrt sich für die Waffenstolzen der ganze Lebenssinn, denn die Ehre des Kriegshandwerks gerät bedenklich ins Wanken, wenn eine weiche Intellektrasse die gewerbsmäßigen Helden gewissermaßen im Nebenberuf gründlich verbleut. Dies aber war in dem Gefecht vom vierten August unzweifelhaft der Fall. Recht besehen, übertraf diese Schlappe noch die Ungelegenheiten von Wan und Urfa. Denn dort handelte es sich um sehr volkreiche Armenierstädte, deren Insurrektion im Zeichen des russischen Vormarsches stand. Der verzweifelte Aufruhr von Wan war mit Rücksicht auf den vorrückenden Reichsfeind sogar außenpolitisch mehr als erwünscht, bot er doch vor der Welt die herrlichste Handhabe, das Verbrechen an der armenischen Millet a posteriori überzeugend zu rechtfertigen. Da habt ihr nun den klaren Beweis, daß die Armenier Hochverräter sind und daß wir uns von ihnen befreien müssen. Der Staatsräson ist es niemals darauf angekommen, eine anmutige Volte zwischen Ursache und Wirkung zu schlagen. Das schlechte, jedoch umso denkfaulere Gewissen der Welt, die Presse der jeweiligen Machtgruppen und das durch sie verschnittene Hirn ihrer Leser, haben das Ding immer nur so gedreht und verstanden, wie sie es gerade brauchten. Über die Sache von Wan durfte man bestimmten Ortes empört schreiben und empörter lesen: »Die Armenier haben gegen das osmanische Staatsvolk, das sich in schwerem Krieg befindet, die Waffen erhoben und sind zu den Russen übergegangen. Die von Armeniern bewohnten Vilajets müssen daher von diesem Volke durch Deportation befreit werden.« Ähnliches konnte man in den türkischen Verlautbarungen lesen, nicht aber die Umkehrung, welche die Wahrheit enthielt: »Die Armenier von Wan und Urfa haben sich, in Verzweiflung über die längst im Gang befindliche Deportation, gegen die türkische Militärmacht so lange zur Wehr gesetzt, bis sie durch den Einmarsch der Russen erlöst worden sind.«
    Was aber, Allah ist groß, konnte man über den Aufstand vom Musa Dagh schreiben und lesen? Er war politisch weit weniger verwertbar, als die Kunde davon gefährlich werden konnte. Es mußten sich nur an verschiedenen Orten, dem Beispiele gehorchend, ein paar Bagradians finden, um das Reich in ernsthafte Schwierigkeiten zu stürzen. Da der Tod über jede armenische Seele beschlossen war, da sich hier und dort noch immer Waffen befanden, so mußte man mit dergleichen Verwicklungen rechnen.
    Die Bürger von Antiochia, vor denen man die Schmach vorläufig noch verborgen hielt, sahen das Sitzungszimmer des Kaimakams bis tief in die Nacht hell erleuchtet und ahnten daher Schlimmes. Der Landrat saß der großen Bezirks-Konferenz vor, die ungefähr aus vierzehn Herren bestand. Sein aufgeblähter Leib schien bei jedem Atemzug den Sitzungstisch von sich schieben zu wollen. Das leberkranke Gesicht des Kaimakams mit den schwarzbraunen Augensäcken war in dem mattversöhnlichen Petroleumlicht noch gelber als sonst. Die Räte ereiferten sich in weitschweifigen Reden. Er aber schwieg in sorgenvoller Versunkenheit. Die schlaffen glattrasierten Wangen hingen ihm in den weitausgeschnittenen Kragen und der Fez war über die linke Schläfe gerutscht, ein Zeichen mißgelaunter Schläfrigkeit. Rechts vom Kaimakam saß der Militärkommandant von Antiochia, ein graubärtiger Oberst, ein Bimbaschi alten Stiles mit kleinen Augen und roten Kinderwangen, dem man es von weitem ansah, daß er seine Ruhe und Bequemlichkeit mit Heldenmut bis zum letzten Blutstropfen verteidigen wollte. Neben ihm sein Stellvertreter, ein jüngerer Jüs-Baschi, Major, von kaum zweiundvierzig Jahren, war sein scharfer Gegensatz, wie es ja bei solchen militärischen Zweigespannen meist üblich ist. Ein schlanker Mann mit ausgemergelten Willenszügen und tiefliegenden Augen, deren verhaltener Blick der Runde hie und da zur

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