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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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zehntausend Bewaffnete haben und mehr …«
    Der rothaarige Müdir hob, sich zum Worte meldend, die Hand:
    »Sie haben nicht fünfhundert, nein, nicht dreihundert Bewaffnete. Ich muß es wissen, da ich die Nahijeh verwalte und in den Dörfern war …«
    Der Bimbaschi nahm seine Brille so zwecklos von der Nase, wie er sie vorhin aufgesetzt hatte:
    »Am besten ist es, wir machen einen Strich unter die Angelegenheit. Die Verfluchten haben sich selbst deportiert. Was wollt ihr noch mehr? Es leben allerlei Leute an der Küste, Griechen, Araber. Soll ich vor ihnen einen lächerlichen Krieg aufführen? Wenn ich alle detachierten Garnisonen der ganzen Kasah zusammenkratze, bekomme ich keine vier regulären Kompagnien auf die Beine. Und die Tschettehs, die Kurden und andre Halunken, die ich holen könnte, würden nicht nur über die Armenier, sondern auch über euch kommen. Drum glaubet mir: Am klügsten ist es, zu schweigen.«
    Der verbissene Jüs-Baschi mit den tiefliegenden Augen hatte seit einer Stunde schon eine Zigarette nach der anderen geraucht, ohne ein Wort zu sprechen. Jetzt erhob er sich und machte respektvoll gegen seinen Vorgesetzten Front:
    »Bimbaschi Effendi, erlaube, daß ich mich gehorsamst über deine Worte verwundere. Wie können wir denn dieses schwere Unglück verheimlichen, in dem ein Kompagniekommandant, drei Offiziere und an die hundert Mann ermordet worden sind? Es ist schon ein unverzeihliches Versäumnis, daß wir einige Stunden mit der Meldung gezögert haben. Ich werde auch gleich nach dieser Konferenz und auf deinen Befehl den Rapport an das Generalkommando verfassen.«
    Der Bimbaschi klappte zusammen. Seine Wangen wurden noch röter. Erstens, weil der Major recht hatte, er hatte immer recht, und zweitens, weil er ein Satan war. Der Kaimakam aber schien jetzt aus seiner Gedankenverlorenheit zu erwachen:
    »Ich will die Geschichte im eigenen Wirkungsbereich liquidieren.«
    Das war der vorsichtig bürokratische Ausdruck für einen verwickelten Entschluß, in dem die Angst vor dem Wali von Aleppo eine große Rolle spielte. Tägliche Erlässe forderten eine schlagartige und restlose Durchführung der Deportation. Der Widerstand der sieben Gemeinden konnte dem Kaimakam den Kragen brechen, denn er bedeutete sowohl mangelhafte Entwaffnung als auch lässige Aufsicht. Erhielt der Wali einen ungeschminkten Bericht über den Vorfall, hatte der Kaimakam von ihm und Ittihad das Schlimmste zu befürchten. Die Meldung mußte daher eine glimpfliche und verwischte Form erhalten. Der alte Oberst hakte ein:
    »Wie willst du sie liquidieren, wenn deine Saptiehs auf den Transporten sind und die Soldaten an der Front?« Er kniff die Augen ein und sandte dem Major einen knirschenden Blick: »Dir aber befehle ich, Jüs-Baschi, daß du in dem Rapport an das Generalkommando vier Bataillone und eine Gebirgsbatterie forderst, denn ohne Truppen und Artillerie können wir einen großen Berg nicht belagern.«
    Der Jüs-Baschi tat, als bemerke er die Wut des Alten nicht:
    »Bimbaschi Effendi, ich habe deinen Befehl verstanden. Seine Exzellenz General Dschemal Pascha läßt sich jede Angelegenheit persönlich vortragen. Du kannst sicher sein, daß er dich unterstützen wird; die Armenierverschickung ist ja ein Werk seiner Freunde. Er wird es nicht dulden, daß ein paar lumpige Christenbauern ihr Spiel mit dir treiben.«
    Bei Nennung des großen Namens wurden unter den Räten die verschiedensten Ansichten laut. Einer der jüngsten Müdirs verstieg sich sogar zu der Behauptung, Dschemal Pascha sei trotz seiner bekannten Rolle in der Regierung, was die Armenier anbetrifft, nicht ganz zuverlässig und habe sogar mit ihnen in Adana paktiert. Der Kaimakam, der wieder von seinem Halbschlaf befallen zu sein schien, hatte indessen seine Entscheidungen getroffen. Er mußte sich mit dem stärksten Mann, dem Major, verbünden und zu diesem Zwecke den alten Bimbaschi dem Verderben überliefern. Der Sündenbock war jedenfalls gefunden, wenn auch ein geduldig langsames Vorgehen geboten schien.
    Der Kaimakam gähnte tief auf und klopfte mit dem Elfenbeinknopf seines Stockes auf den Tisch:
    »Ich hebe die Sitzung auf und bitte den Jüs-Baschi, noch eine Weile bei mir zu bleiben, damit wir uns über unsere Berichte an die Zivil- und Militärbehörde gegenseitig verständigen. Bimbaschi Effendi, ich werde dir auch den meinen zur Billigung vorlegen.«
    Am nächsten Morgen gingen zwei lange und gewundene Rapporte ab. Die scharfen

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